Verletzender Vergleich: Verhandlung beim Amtsgericht wie „Musikantenstadl“
In dem Fall verteidigte ein Rechtsanwalt einen wegen Unfallflucht Angeklagten, der zwar vom Amtsgericht erst verurteilt worden war, dann aber in zweiter Instanz eine Einstellung des Verfahren nach § 153 StPO erwirken konnte. Der Antrag auf Kostenerstattung wurde trotz mehrfacher Mahnung aber monatelang nicht beschieden.
In einem Beschwerdeschreiben wandte sich der Strafverteidiger des Betroffenen sodann an den Präsidenten des Landesgerichts und schrieb:
„Der Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht glich dann schon dem, was ich als ,Musikantenstadl‘ bezeichnen möchte. Kein vernünftiges Eigenargument auf Seiten des Richters, aber eine ,Gesamtsicht der Dinge‘. Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, wie es möglich ist, dass aus nicht einem einzigen stichhaltigen Argument eine ,stichhaltige Gesamtsicht‘ zusammengenäht – halt besser: zusammengeschustert – wird. (…)“.
Landgerichts geht in Offensive und hält dagegen
Statt inhaltlich auf die Beschwerde einzugehen, hat der Landgerichtspräsident die Beschwerde abgewiesen und gleichzeitig Strafantrag wegen Beleidigung gem. § 185 StGB gegen den Anwalt gestellt. Begründung: Der Vergleich mit einem „Musikantenstadl“ sei geeignet, den zuständigen Richter in seiner Ehre zu kränken. Die richterliche Tätigkeit werde damit einer Veranstaltung der Volksbelustigung gleichgestellt.
Amtsgericht verurteilt Rechtsanwalt wegen Beleidigung
Gem. § 185 StGB macht sich strafbar, wer absichtlich die Ehre eines anderen verletzt oder durch herabwürdigende Äußerungen oder Tätigkeiten beeinträchtigt. Die Beleidigung ist daher eine Strafnorm zum Schutz der persönlichen Ehren.
Diese Anforderungen sah das zuständige Amtsgericht Gera erfüllt und verurteilte den Anwalt zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30€, insgesamt 450€. Der Anwalt ging hiergegen vor, doch das Landgericht Gera wies den Antrag auf Berufung ab und vertrat dieselbe Ansicht wie zuvor das Amtsgericht.
BVerfG gibt Amts- und Landgericht eine Lehrstunde
Davon ließ sich der Rechtsanwalt nicht beeindrucken und reichte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Das BVerfG nahm die Sache zur Entscheidung an und beurteilte die Verfassungsbeschwerde als zulässig und begründet.
In dem Urteil des BVerfG heißt es, Werteurteile, die durch Elemente der Stellungnahme gekennzeichnet sind, unterfallen der Meinungsfreiheit, auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung nicht dem Schutzbereich des Grundrechts. Bei Äußerungsdelikte, wie hier Beleidigung gem. § 185 StGB, muss die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG entsprechend gewichtet und bei § 193 StGB die Auswirkungen des Rechtsstaatsprinzip zu beachten (BVerfG, Beschluss vom 06.06.2017 – 1 BvR 180/17).
Das Recht, die Handlungen und Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der geschützten Meinungsfreiheit, so weiter das Urteil.
Äußert ein Rechtsanwalt mit Blick auf die schleppende Bearbeitung, dass die Hauptverhandlung gleich eines „Musikantenstadls“ gewesen sei, so verletzt eine hierauf basierende Verurteilung wegen Beleidigung gem. § 185 StGB die Meinungsfreiheit, so die Karlsruher Richter. Es dürfe auch nicht vergessen werden, dass die Äußerung nicht öffentlich, sondern intern in einer Dienstaufsichtsbeschwerde zu Händen des Landgerichtspräsidenten gemacht wurde.
Straftatbestand: Beleidigung gem. § 185 StGB
Der Straftatbestand der Beleidigung schützt in erster Linie die persönliche Ehre des Betroffenen und ist damit Ausfluss des Schutzes des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Die Beleidigungshandlung ist dabei die Verkündung der Missachtung einer Person bzw. die Kränkung oder Herabsetzung dessen Ehre. Opfer einer Ehrverletzung können daher nur Ehrenträger sein, d.h. Träger einer Persönlichkeit, weswegen Kollektive oder die Gesamtheit einer Gruppe grundsätzlich nicht beleidigungsfähig sind.
Meinungsfreiheit – Auch heftige Kritik muss geschluckt werden
Bei einer Abwägung hierüber, ob eine Beleidigung i.S.d. § 185 StGB vorliegt, ist immer eine sorgfältige Prüfung der Interessen notwendig. Dabei ist die Bedeutung der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit besonders hohes Gewicht zukommen zu lassen. Von der Meinungsfreiheit sind nämlich auch polemische, scharf kritisierende und (teilweise) verletzende Äußerungen gedeckt, solange sie das Maß der Unerträglichkeit nicht überschreiten oder die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) darstellen.
Im vorliegenden Fall wurde auf Recht erkannt, dass es Privatem zusteht, auch die Maßnahmen der öffentlichen Hand (hier Amtsgericht) frei und scharf kritisieren zu können, ohne Angst vor staatlichen Repressalien. Das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und muss entsprechend gewürdigt werden, besonders weil es keine öffentliche Kundgabe war, sondern eher diskret in einem Schreiben erfolgte. Der Äußernde muss sich nicht nur auf das sachlich Erforderliche reduzieren und darf auch scharf kritische Äußerungen tätigen.