Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht – BGH, Urteil vom 12.04.2016 – II ZR 275/14

Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist eine zentrale Verpflichtung, die das gesellschaftsrechtliche Zusammenwirken maßgeblich beeinflusst. Sie zielt vor allem auf das Vertrauen und den Schutz der gemeinsamen Interessen der Gesellschafter und der Gesellschaft ab. Insbesondere bei wichtigen Entscheidungen, wie beispielsweise den Abstimmungen in Gesellschafterversammlungen, zwingt die Treuepflicht dazu, das persönliche Interesse hinter das Gemeinwohl der Gesellschaft zurückzustellen, um den Fortbestand und Erfolg der Gesellschaft nicht zu gefährden.

Mit Urteil vom 12. April 2016 (Az.: II ZR 275/14) stellte der Bundesgerichtshof (BGH) klar, dass in besonderen Fällen die Treuepflicht eine Zustimmung zu Maßnahmen erzwingt, die unabweisbar zur Sicherung des Gesellschaftszwecks oder zur Vermeidung erheblicher Verluste erforderlich sind.

Der Leitsatz des BGH lautet:

Aufgrund der Treuepflicht muss der Gesellschafter einer Maßnahme zustimmen, wenn sie zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich ist und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, also wenn der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend gebieten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert.

[BGH, Urteil vom 12.04.2016 – II ZR 275/14] [1]

Sachverhalt:

Die Beklagte ist eine Konzernholdinggesellschaft und die Klägerin ist an der Beklagten mit 21,62 % beteiligt. Die Streithelferin der Beklagten, ein Konzernunternehmen, ist an der Beklagten mit den restlichen Anteilen beteiligt.

Im Jahr 2012 befasste sich die Geschäftsführung der Beklagten mit der Prüfung verschiedener Standorte für weitere potenzielle Außenstellen im In- und Ausland. Über diese Standorte wurde daraufhin in der anstehenden Gesellschafterversammlung vom 5. Dezember 2012 abgestimmt.

Die Streithelferin der Beklagten verweigerte bei neun von den insgesamt 50 vorgeschlagenen Standorten die Zustimmung und in drei Fällen enthielt sie sich. Ein Standortvorschlag wurde zuvor von der Tagesordnung gestrichen. Im Vorfeld hatte sie erklärt, dass sie nur aus formalen Gründen eine ablehnende Stimme abgeben würde, wenn sie der Überzeugung sei, dass die jeweilige Maßnahme auch ohne Abstimmung allein von den Geschäftsführern bestimmt werden könne.

Die Klägerin erhob sodann vor dem Landgericht Ingolstadt Anfechtungs- und Feststellungsklage gegen die Streithelferin. Sie verfolgte damit das Ziel, dass die Abstimmungen, die durch die ablehnenden Stimmen der Streithelferin zur Ablehnung der Standortmaßnahmen geführt hatten, als nichtig erklären zu lassen. Darüber hinaus wollte die Klägerin festgestellt wissen, dass diese Maßnahmen und auch jene, bei denen sich die Streithelferin enthalten hatte, wirksam von der Gesellschafterversammlung beschlossen wurden.

Das Landgericht Ingolstadt wies die Klage zurück, woraufhin die Klägerin Berufung einlegte. Das Berufungsgericht gab der Anfechtungs- und Feststellungsklage der Klägerin mit der Begründung statt, dass die Stimmabgabe der Streithelferin treuwidrig und damit auch nichtig gewesen sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten zulässig eingelegte Revision.

I.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts OLG München mündeten in dem Ergebnis, dass die ablehnenden Stimmabgaben der Streithelfern treuwidrig und damit auch unwirksam waren. Vordergründig ging das Berufungsgericht darauf ein, dass die grundsätzlich ungebundene Ausübung des Stimmrechts dann als treuwidrig zu bewerten sei, wenn sie sich entgegen dem Interesse der Gesellschaft auswirke. Nach richterlicher Beurteilung handelte es sich bei den Standortmaßnahmen um Maßnahmen von hoher wirtschaftlicher Relevanz, die in diesem Zuge auch im Interesse der Gesellschaft lagen und die Zwecke der Gesellschaft förderten.

Das Berufungsgericht stellte klar, dass es gerade nicht darauf ankomme, ob die in Frage stehenden Standortmaßnahmen keiner Abstimmung durch die Gesellschafterversammlung bedurft hätten, sondern darauf, dass die Treuepflicht die Streithelferin zur Zustimmung verpflichtet hätte. Es läge weiterhin kein ausschlaggebender Grund vor, Maßnahmen, die nicht ausdrücklich der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen, nicht doch über diese zusätzlich abstimmen zu lassen, zumindest wenn diesen Maßnahmen eine nicht nur unerhebliche Bedeutung für die Gesellschaft zukomme. So läge es hier mit den Standortmaßnahmen, die von erheblicher wirtschaftlicher Relevanz für die Gesellschaft seien.

II.

Der Bundesgerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass das Berufungsurteil der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht standhalten könne.

1.

Der BGH erörterte, dass die Stimmabgabe der Streithelferin gegen die Standortmaßnahmen nicht treuwidrig war. Zur Einschränkung der ansonsten freien Stimmabgabe von Gesellschaftern bedarf es laut BGH einer Maßnahme, die zur Erhaltung von wesentlichen Werten der Gesellschaft erforderlich ist. Ein mögliches Beispiel hierzu ist die Vermeidung erheblicher Verluste, die objektiv unabweisbar sind, sofern die dann erforderliche, gebundene Stimmabgabe den Gesellschaftern mit Berücksichtigung auf ihre eigenen schutzwürdigen Interessen zumutbar ist.

Der BGH konkretisierte dies wie folgt:

Eine Pflicht zur Abstimmung in einem bestimmten Sinn besteht daher nur, wenn zur Verfolgung der Interessen der Gesellschaft keine andere Stimmabgabe denkbar ist, andernfalls nur schwere Nachteile entstehen und die eigenen Interessen des Gesellschafters dahinter zurückstehen müssen.“[2]

Der BGH lehnte die Erwägung ab, es handele sich bei den Standortmaßnahmen um für die Erhaltung der wesentlichen Werte der Gesellschaft erforderliche Maßnahmen, gerade weil es keinen Grund zur Annahme gäbe, dass die Beklagte durch das Ausbleiben von neun aus insgesamt 50 Standortmaßnahmen eine Gefährdung des Bestandes zu fürchten gehabt hätte.

In Bezug auf die Enthaltungen der Streithelferin beträfe die Treuepflicht von Gesellschaftern lediglich den Inhalt der Stimmabgabe und nicht die Teilnahme an der Abstimmung an sich, sodass die Enthaltungen der Streithelferin in drei Fällen die Treuepflicht nicht tangiere.

2.

Der BGH stellte überdies fest, dass die Stimmabgabe auch nicht wegen sonstiger Gründe rechtsmissbräuchlich war. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war das Stimmverhalten der Streithelferin nicht in sich widersprüchlich. Begründet wurde dies damit, dass eine bloße Ankündigung eines bestimmten Abstimmungsverhaltens noch keinen Vertrauenstatbestand begründen würde, wenn der Gesellschafter zuvor keine Stimmbindung eingegangen sei.

Andere Gründe, die die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens rechtfertigen würden, waren im Übrigen nicht ersichtlich, vor allem in Bezug zu dem Umstand, dass die Streithelferin durch ihre ablehnende Stimme die Abstimmung im Ganzen nicht blockiert hatte.

III.

Im Ergebnis beschloss der BGH, dass die Sache gemäß § 563 Abs. 3 ZPO zur Endentscheidung reif war. Das Berufungsurteil des OLG München vom 14. August 2014 (Az.: 23 U 4744/13) wurde vom BGH im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es zum Nachteil der Beklagten entschieden wurde. Die vorherige Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 15. Oktober 2013 (Az.: 1 HKO 188/13) wurde ebenfalls durch den BGH abgewiesen.


[1] document.py (bundesgerichtshof.de)

[2] BGH, Urteil vom 12.04.2016 – II ZR 275/14, Rn. 16.

Titelbild: Freepik.de (@freepik)

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