Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte im Jahr 1982 mit der sogenannten „Holzmüller-Entscheidung“ (BGH, Urteil v. 25.02.1982 – II ZR 174/80) einen wichtigen Grundstein im Aktienrecht gelegt. Mit dieser Entscheidung stellte der BGH eine ungeschriebene Kompetenz der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft fest, die für solche Fälle gilt, in denen eine alleinige Entscheidung des Vorstands als unverhältnismäßig anzusehen ist. Trotz ihres weiten Zurückliegens ist diese Entscheidung bis heute im Aktienrecht bekannt und in der Praxis äußerst relevant.
Der Tenor des Urteils des BGH lautet:
„1. Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandgerichts zu Hamburg vom 5. September 1980 und der Kammer 19 für Handelssachen des Landgerichts Hamburg vom 1. Oktober 1979 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Hilfsantrag der Kläger zu 3 b abgewiesen worden ist.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, für Kapitalerhöhungsmaßnahmen in der H S Kommanditgesellschaft auf Aktien, auch soweit die in deren Satzung vorgesehen sind, die Zustimmung der Hauptversammlung der Beklagten mit der Mehrheit einzuholen, die für eine entsprechende Maßnahme in der Beklagten selbst erforderlich wäre und ohne diese Zustimmung die Maßnahme zu unterlassen.“
(BGH, Urteil vom 25.02.1982 – II ZR 174/80[1])
Zum Sachverhalt:
Die Beklagte war vorliegend die Holzmüller AG, die sowohl einen Seehafen als auch einen Holzhandel betrieb, wobei der größere Teil dem Seehafenbetrieb zukam. Der Kläger war ein Aktionär der Holzmüller AG, der eine Entscheidung des Vorstands für sittenwidrig und unwirksam erklärte. Diese Entscheidung bezog sich darauf, dass eine neue Tochtergesellschaft der Holzmüller AG gegründet wurde, die Holzmüller KGaA, welcher durch den Beschluss des Vorstandes die gesamten Aktiva und Passiva des Seehafenbetriebs übertragen wurden. Der Aktionär war der Meinung, dass eine solche Maßnahme, die lediglich auf Kapitalerhöhung gerichtet sei, der Zustimmung der Hauptversammlung bedurfte.
Der Kläger beantragte bei Gericht:
„1. festzustellen, dass die Einbringung des Seehafenbetriebs als Sacheinlage in das Vermögen der Holzmüller KGaA und alle damit zusammenhängenden Rechtsakte nichtig seien;
2. hilfsweise, die Beklagte in deren Eigenschaft als Alleingesellschafterin der H KGaA zur Rückübertragung des Seehafenbetriebs zu verurteilen.
3. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte in ihrer vorgenannten Eigenschaft verpflichtet sei,
a) zu allen Maßnahmen, für die nach dem Gesetz ein Hauptversammlungsbeschluss mit einer Kapitalmehrheit von mindestens ¾ erforderlich ist, die Zustimmung der Hauptversammlung der Beklagten mit einer entsprechenden Mehrheit einzuholen
b) insbesondere für Kapitalerhöhungsmaßnahmen der Holzmüller KGaA, auch soweit sie in deren Satzung bereits vorgesehen sind, die Zustimmung der Hauptversammlung der Beklagten mit der für die jeweilige Maßnahme nach dem Gesetz erforderliche Mehrheit einzuholen, andernfalls die Maßnahme nicht durchgeführt werden könne;
4. hilfsweise, dass die Beklagte zur Abgabe einer Verpflichtungserklärung zu verurteilen, die dem Kläger bei einer Kapitalerhöhung der Holzmüller KGaA einen Rechtsanspruch auf Aktienerwerb mit demselben wirtschaftlichen Erfolg geben würde, wie wenn der Hafenbetrieb noch zum Vermögen der Beklagten gehörte.“[2]
I. Das Holzmüller-Urteil
Der BGH stellte zunächst fest, dass der Hauptantrag des Klägers, festzustellen, dass die Übertragung des Unternehmenskapitals nichtig gewesen wäre, zwar zulässig, aber nicht begründet war.
Die hierfür erforderliche Nichtigkeitsfolge war vorliegend nicht einschlägig. Der BGH stellte fest, dass der Schutz von Aktionären bei einer Umstrukturierung darauf abstellt, ob die Aktionäre nach einer solchen Maßnahme in einem Unternehmen ohne jegliches Kapital zurückbleiben. Dies war hier jedoch nicht der Fall, weil die Holzmüller-AG lediglich die Unternehmensteile des Seehafenbetriebs an die Holzmüller KGaA übertrug, nicht aber den Holzhandel. Dieser weitaus schwächere, aber dennoch wirtschaftlich positive Unternehmensteil sollte als selbstständiger Unternehmensbereich in der Holzmüller AG bestehen bleiben.
Nichtsdestotrotz befand der BGH, dass der Vorstand bei der Entscheidung nicht davon ausgehen konnte, die alleinige Kompetenz innezuhaben. Aus § 119 Abs. 2 AktG ergibt sich ein Ermessen des Vorstands darüber, die Hauptversammlung bei Entscheidungen miteinzubeziehen. Der BGH beurteilte den Umstand, dass der Vorstand hier vorliegend davon absah, eine Hauptversammlung einzuberufen, als eine Sorgfaltspflichtverletzung. Da sich diese lediglich intern auswirkte und das Rechtsgeschäft nach außen hin nicht berührte, musste die Nichtigkeit verneint werden.
Auch der zweite, hilfsweise gestellte Antrag des Klägers wurde abgewiesen. Grund hierfür war, dass es eine Hauptversammlung gab, an der der Vorstand die geplante Übertragung ankündigte. Des Weiteren wurde von dem Vorstand auch ein Rundbrief verschickt, der alle Aktionäre über die Übertragung der Unternehmensteile auf die Holzmüller KGaA informierte. Der Kläger erhob seine Klage hiergegen allerdings erst drei Jahre nachdem er durch die Versammlung und den Rundbrief Kenntnis hierüber erhielt. Folglich war dieser Antrag schon aufgrund des Fristversäumnisses des Klägers gemäß § 246 Abs. 1 AktG unzulässig.
Der dritte, hilfsweise gestellte Antrag 3a) des Klägers, dass festzustellen sei, dass jegliche Entscheidungen bezüglich der Holzmüller KGaA der Einbeziehung der Hauptversammlung bedürfen, wurde ebenfalls abgewiesen. Der BGH erkannte aber eine nicht normierte Problemstellung.
Der BGH führte dazu aus:
„Verlagert eine Aktiengesellschaft wesentliche Teile ihres Betriebsvermögens auf eine Tochtergesellschaft, so schwächt diese Strukturänderung selbst dann, wenn sämtliche Anteile in den Händen der Obergesellschaft verbleiben, die Rechtsstellung ihrer Aktionäre. Diese verlieren dadurch namentlich die Möglichkeit, im Rahmen der gemäß § 119 Abs. 1 AktG der Hauptversammlung vorbehaltenen Befugnisse den Einsatz des abgespaltenen Betriebskapitals, das Risiko seines Verlusts und die Verwendung seiner Erträge unmittelbar zu beeinflussen.“[3]
An dieser Stelle konnte der BGH dennoch dem Antrag nicht stattgeben, auch wenn diese Problematik klar erkannt wurde. Dies folgte daraus, dass der Antrag sich auf sämtliche Entscheidungen über die Holzmüller KGaA bezog und somit im Endeffekt die Entscheidungshoheit des Vorstandes redundant machen würde.
Der Antrag 3b) befasste sich konkret mit Maßnahmen zu Kapitalerhöhungen und stellte demnach genau auf die Fälle ab, in denen die Aktionäre potenziell benachteiligt würden. Eine solche Benachteiligung stellte der BGH hier nochmals abschließend fest, indem er darauf abstellte, dass für die Aktionäre bei der vorliegenden Ausgliederung großer Unternehmensteile an die Tochtergesellschaft Holzmüller KGaA die Gefahr erwuchs, bei einer Kapitalerhöhung jegliche Kontrolle über ihr Vermögen zu verlieren. Dies sei ein Umstand, der durch den tiefgreifenden Eingriff in die Aktionärsrechte nicht ausschließlich vom Vorstand hätte beschlossen werden können und demnach einer Mitwirkung der Hauptversammlung bedurfte.
Folglich gab der BGH dem Antrag 3b) des Klägers statt und wies die Revision im Übrigen zurück.
II. Die Holzmüller-Doktrin
Durch dieses Urteil etablierte sich die sogenannte „Holzmüller-Doktrin“, welche eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz begründet. Grundsätzlich gilt, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Geschäfte der Gesellschaft in eigener Verantwortung führt, während die Hauptversammlung für grundlegende Angelegenheiten zuständig ist. Die Zustimmung der Hauptversammlung für Fragen der Geschäftsführung wird gemäß § 179 Abs. 1 AktG lediglich für Satzungsänderungen ausdrücklich verlangt. Für alle weiteren Maßnahmen im Rahmen der Geschäftsführung, die nicht in dem Katalog des § 119 Abs. 1 AktG genannt sind, hat der Vorstand die Entscheidungshoheit.
Der BGH stellte nun in der Holzmüller-Entscheidung fest, dass manche Maßnahmen der Geschäftsführung auch ohne entsprechende Gesetzesermächtigung nicht ohne die Zustimmung der Hauptversammlung möglich sind, sofern sie einen tiefgreifenden Eingriff in das mitgliedschaftliche Verwaltungsrecht des einzelnen Aktionärs zur Folge haben. Dem Vorstand müsse hier bewusst sein, dass er in einem solchen Fall nicht alleinige Entscheidungskompetenz hat.
Zusätzlich sei noch darauf abzustellen, ob durch die Eingriffe ein Mediatisierungseffekt gegeben ist. Mediatisierung meint in diesem Kontext den Verlust einer immanenten, beziehungsweise unmittelbaren Rechtstellung auf Seiten der Aktionäre, die beispielsweise in der Holzmüller-Entscheidung in der vorliegenden Ausgliederung von Unternehmensteilen an die Tochtergesellschaft und dem damit verbundenen Kontrollverlust der Aktionäre über ihr Vermögen lag.
Dogmatisch wurde die Holzmüller-Doktrin erst bei § 119 Abs. 2 AktG mit einer Ermessensreduktion auf Null angesiedelt, später wurde jedoch ihre Rechtsgrundlage als offene Rechtsfortbildung definiert.
III. Die Holzmüller-II Entscheidung: das Gelatine-Urteil des BGH
Im Jahr 2004 befasste sich der BGH in einem ähnlich gelagerten Fall erneut mit der zuvor gefassten Holzmüller-Doktrin (BGH, Urteil v. 26.04.2004 – II ZR 154/02[4]). Die Holzmüller-II Entscheidung des BGH oder auch Gelatine-Entscheidung genannt, konkretisierte die Holzmüller-Doktrin insofern, dass die Mitwirkung der Hauptversammlung über die gesetzlich festgelegte Kompetenz hinaus nur in Ausnahmefällen anzunehmen sei. Diese Entscheidung gab der bisweilen schwer definierbaren Holzmüller-Doktrin einen Rahmen.
Der BGH subsumierte solche Maßnahmen der Geschäftsführung unter die Holzmüller-Doktrin, welche nach einer strengen Auslegung ähnlich wesentliche Veränderungen mit sich bringen, wie solche, die einer Satzungsänderung bedürfen. In Bezug zur Wesentlichkeit wurde ausgeführt, dass sich hier an den Dimensionen der Holzmüller-Entscheidung zu orientieren sei, sodass das in der Praxis dazu führt, dass für solche Maßnahmen die Hauptversammlung heranzuziehen ist, welche mindestens 80 % des Gesellschaftsvermögen betreffen. Bei der Verletzung dieser Pflicht kann dies Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand als auch Unterlassungsklagen bedingen.
IV. Fazit
Der BGH begründete mit der Holzmüller-Doktrin die ungeschriebene Mitwirkungskompetenz der Hauptversammlung und stärkte damit die Position der Aktionäre immens. Durch das Gelatine-Urteil wurde diese Rechtsprechung in ihrem Anwendungsbereich grundlegend präzisiert, was wesentlich zur Rechtssicherheit der Aktionäre beigetragen hat, aber im gleichen Zug auch zu einer Einschränkung der Anwendbarkeit der Holzmüller-Doktrin führte. Die Holzmüller-Doktrin besteht auch bis heute noch und wird stets in Literatur und Rechtsprechung analysiert und diskutiert.
Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), welches am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, hat das deutsche Gesellschaftsrecht umfassend reformiert. Während das MoPeG primär auf die Modernisierung des Rechtsrahmens für Personengesellschaften abzielt, berührt es das Aktienrecht und damit die Holzmüller-Doktrin nur indirekt. Indirekte Auswirkungen könnten beispielsweise dann vorliegen, wenn Unternehmen im Rahmen von Umstrukturierungen auf neue rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückgreifen und damit neue Fallgruppen schaffen, bei denen die Holzmüller-Doktrin anzuwenden ist. Diesbezüglich bleibt jedoch langfristig abzuwarten, ob überhaupt, beziehungsweise in welcher konkreten Art und Weise die Holzmüller-Doktrin vom MoPeG beeinflusst werden könnte.
[1] BGH, Urteil vom 25.02.1982 – II ZR 174/80 – openJur
[2] BGH, Urteil vom 25.02.1982 – II ZR 174/80 – openJur
[3] BGH, Urteil vom 25.02.1982 – II ZR 174/80 – openJur Rn. 50.
[4] BGH, Urteil vom 26.04.2004 – II ZR 154/02 – openJur
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