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Gefährliche Körperverletzung: Lebensgefährdende Behandlung

Inhaltsverzeichnis

Die Facetten der Qualifikation zur gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB bleiben von Beginn des Studiums über das Staatsexamen bis hin zur Praxis ein wichtiges Themengebiet, welches großer Präzision bedarf.

Das Kammergericht Berlin entschied Mitte dieses Jahres einen Fall, der sich mit den Grenzen dieser Qualifikation auseinandersetzte.

Der Leitsatz des Kammergerichts Berlin lautete wie folgt:

1. Erforderlich, aber auch genügend ist für die „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangene Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), dass die Art der Behandlung durch den Täter den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet ist, das Leben zu gefährden.

2. Zwar können grundsätzlich auch mit Hand oder Faust in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers geführte Schläge eine das Leben gefährdende Behandlung sein. Dies setzt jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrpotenzial der Handlung im Vergleich zum Grundtatbestand deutlich erhöhen.

3. Da die nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangene Körperverletzung „mittels“ einer das Leben gefährdenden Behandlung erfolgen muss, darf der Körperverletzungserfolg nicht erst als mittelbare Folge der gefährlichen Behandlung eingetreten sein. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB liegt daher nicht vor, wenn nicht die Körperverletzungshandlung selbst lebensbedrohlich ist, sondern erst eine durch diese ausgelöste Gefahr.“

KG Berlin, Urteil vom 01.06.2023 – 3 ORs 24-25/23 – 161 Ss 56/23 (LG Berlin)

Der Sachverhalt

Zunächst hatte das Amtsgericht Tiergarten über die Sache entschieden. Die der Anklage zugrunde liegende Tat ereignete sich in einem Sportraum einer Justizvollzugsanstalt. Der angeklagte Amateurboxer bewegte sich zu dem Geschädigten und versetzte diesem einen durch eine Oberkörperdrehung verstärkten Schlag gegen den Unterkiefer. Der Geschädigte ging daraufhin zu Boden. Er erlitt einen Unterkieferbruch. Zudem verlor er durch die Verletzung 500 – 600 ml Blut, an welchem er sich unter anderem verschluckte. Es war dem Geschädigten aufgrund dieses Zustandes nicht möglich, sich wieder zu erheben und gegen die Tat zur Wehr zu setzen.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB, weil es davon ausging, dass dieser den Schlag mittels einer Hantel ausgeübt hatte. Das Landgericht änderte nach der Berufung des Angeklagten den Schuldspruch zu einer Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung, da keine Beweise für die Tatbegehung unter Zuhilfenahme einer Hantel festgestellt werden konnten. Es ergänzte in seiner Begründung, dass man nicht ausschließen könne, dass es durch den Aufprall des Kiefers des Geschädigten auf eine Hantelscheibe und nicht durch den Schlag mit einer solchen zu dem Bruch gekommen sein könnte.

Auf die Revision des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin wurde der Fall erneut dem Kammergericht vorgelegt, beide Revisionen blieben indessen erfolglos. Während der Angeklagte lediglich eine Sachrüge erhob, forderte die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen einer gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung.

Faustschlag als Lebensgefahr?

Das Gericht befasste sich zunächst mit der Eignung des Faustschlags als eine das Leben gefährdende Behandlung. Es stellte dabei fest, dass es sich bei § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB um einen sog. Eignungsdelikt handelt. Danach muss die Verletzungshandlung lediglich geeignet sein, das Leben zu gefährden. Das tatsächliche und konkrete Vorliegen der Lebensbedrohung ist nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich. Im Mittelpunkt steht folglich die Gefährlichkeit der Handlung und nicht deren Folge.[1]


[1] BGH NStZ 2013, 345; BGH StV 1988, 65; NStZ 2012, 345.

Notwendige Bedingungen für die Verwirklichung einer gefährlichen Körperverletzung

Das Gericht befand außerdem, dass eine das Leben gefährdende Behandlung auch durch einen Faustschlag verwirklicht werden kann, betonte aber auch, dass in solchen Fällen besondere Umstände bei der Tatbegehung vorliegen müssen, die die Gefährlichkeit der Tat erhöhen und damit die Qualifikation der gefährlichen Körperverletzung erfüllen. Dabei nannte das Gericht als Beispiele für eine Verwirklichung mehrere wuchtige Faustschläge gegen den Kopf eines Säuglings[1] oder massive Schläge gegen den Kopf des alkoholisierten Opfers.[2] Derart besondere Umstände hat das Gericht in dem vorliegenden Fall indessen nicht festgestellt, da die Gefährdungshandlung im Vergleich zur einfachen Körperverletzung nicht maßgeblich erhöht gewesen ist. Auch der Umstand, dass es sich um einen überraschenden Schlag mit Oberkörperdrehung handelte oder der Geschädigte als Folge des Schlags zu Boden ging, überzeugte das Gericht nicht von einer erhöhten Gefährlichkeit der Tat. Des Weiteren konnte auch final nicht ausgeschlossen werden, dass der Bruch des Kiefers erst durch den Aufprall des Geschädigten auf den Boden hervorgerufen worden war.


[1] BGH, Beschluss vom 06. Juni 2008 – 2 StR 105/07.

[2] BGH NStZ 2005,156.

Gesetzesauslegung zur lebensgefährdenden Körperverletzung

Das Gericht setzte sich außerdem mit der in der Revision von der Staatsanwaltschaft verwendeten Formulierung „es sei sicher zu erwarten gewesen“, dass der Geschädigte „mit seinem Kopf auf einen harten Gegenstand (…) prallt“, auseinander.[1] Nach Untersuchung der Lichtbilder des Sportraums stellte das Gericht fest, dass es keine Anzeichen für offensichtlich herumliegende Hantelscheiben gegeben hätte, die für den Angeklagten ersichtlich gewesen wären. Klarstellend äußerte das Gericht, dass sich § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nach genauer Betrachtung des Wortlauts nur auf die Verletzungshandlung selbst, nicht aber auf die Folge der Handlung beziehe. Die Wortlautauslegung zeige, dass der Erfolg sich aus der gefährdenden Handlung manifestieren muss und nicht erst als mittelbare Folge daraus resultieren darf, damit § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfüllt ist.[2]

Das Kammergericht hielt demnach an dem Urteil des Landgerichts fest. Der Angeklagte wurde wegen einfacher Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB verurteilt.


[1] KG Berlin, Urteil vom 01.06.2023 – 3 ORs 24 25/23 – 161 Ss 56/23 (LG Berlin)

[2] BGH NVZ 2006, 483; NStZ 2007, 34; Fischer StGB, 70. Aufl., § 224 Rn.28.

Quelle: VIS Berlin – 3 ORs 24 – 25/23 3 ORs 24/23 3 ORs 25/23 3 ORs 24 – 25/23 – 161 Ss 56/23 3 ORs 24/23 – 161 Ss 56/23 3 ORs 25/23 – 161 Ss 56/23 | KG Berlin 3. Strafsenat | Urteil | Gefährliche Körperverletzung durch Faustschlag eines Amateurboxers

Allgemeines

Meinungsstreit: Konkrete oder abstrakte Gefährdung?

Im Kontext des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB herrscht ein Meinungsstreit hinsichtlich der Frage, wann eine Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung anzunehmen ist. Explizit wird darüber gestritten, ob eine konkrete oder eine abstrakte Gefahr vorliegen muss. Im Rahmen der wissenschaftlichen Ausbildung gilt, dass dieser Meinungsstreit grundsätzlich zu erkennen und darzustellen ist.

Eine in der Literatur vertretene Auffassung kommt zu dem Ergebnis, dass der § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB dahingehend auszulegen ist, dass für dessen Verwirklichung eine konkrete Lebensgefahr von Nöten ist, dass sich also das Opfer tatsächlich durch die Handlung des Täters in Lebensgefahr befindet und dies auch so von dem Vorsatz des Täters umfasst ist. Argumentiert wird mit einer restriktiven Auslegung der Norm, die ein hohes Strafmaß ansetzt, was die Anwendung in einem weiten Feld von möglichen abstrakten Lebensgefährdungen unbillig erscheinen lässt.[1]

Die herrschende Meinung in der Literatur kommt zu dem Ergebnis, dass eine abstrakte Lebensgefährdung ausreicht, um den Qualifikationstatbestand zu erfüllen. Hiermit ist gemeint, dass die Handlung allgemein geeignet sein muss, lebensbedrohlich zu sein und es nicht darauf ankommt, ob sie es im jeweiligen Fall auch tatsächlich ist. Hier wird unter anderem argumentiert, dass bei der Forderung einer konkreten Gefahr der Tatbestand zu nah an den versuchten Totschlag gemäß §§ 212, 22 StGB rücken würde.[2]

Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass bei der Forderung einer konkreten Lebensgefahr und dem Vorsatz diesbezüglich der § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB sehr nah an dem versuchten Totschlag angelagert und eine Unterscheidung der beiden Straftatbestände dann kaum zu treffen wäre. Weiter beziehe sich der Wortlaut der Norm auf die lebensbedrohliche Behandlung und nicht auf das Herbeiführen der Lebensgefahr.[3]

Diesen Meinungsstreit gilt es in einer strafrechtlichen Klausur darzustellen und anschließend zu bewerten.


[1] NK/Neumann, 6. Aufl., § 224 Rn.28.

[2] Rengler, BT II, 24. Aufl., § 14 Rn.50.

[3] BGH, Urteil vom 04.09.1996 – 2 StR 320/96; BGHSt 2, 160 (163).

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