Der Haustyrannen Fall spiegelt eine düstere Geschichte wider, die aus juristischer Perspektive viele Fragen aufwarf.
Dem Bundesgerichtshof (BGH) lag die Sache in der Revision des Urteils des Landgerichts Hechingen vor. Durch Urteil vom 25.03.2003 (Az.:1 StR 483/02) [1] hob der BGH das Urteil des Landgerichts Hechingen auf, woraufhin die Sache zur erneuten Überprüfung zurück an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts verwiesen wurde.
Haustyrannen Fall – der Sachverhalt
Der Fall drehte sich um eine Frau, die laut dem Landgericht von ihrem Ehemann über 15 Jahre hinweg schwer körperlich und verbal misshandelt wurde, woraufhin sie mehrfach im Krankenhaus behandelt werden musste. Er drohte ihr auch regelmäßig damit, den gemeinsamen Kindern, gegen die er grundsätzlich auch gewalttätig war, etwas anzutun, wenn sie ihn verlassen wolle. Für den Fall, dass sie zur Polizei gehen würde, drohte er ihr unter anderem mit seinen Freunden, den Mitgliedern eines Rocker-Clubs, dem er auch angehörte, dass diese ihr und den Kindern im Falle seiner Inhaftierung etwas antun würden. Drei Suizidversuche der Angeklagten scheiterten.
Nachdem der Ehemann die Angeklagte eines Tages erneut übel zugerichtet hatte, entschloss sie sich dazu, ihn mit seinem Revolver im Schlaf zu erschießen, da sie keine andere Möglichkeit sah, ihm zu entfliehen. Sie setzte ihren Plan später in die Tat um und erschoss ihren Ehemann im Schlaf mit mehreren Schüssen.
Sie wurde sodann wegen des heimtückischen Mordes gemäß § 211 Abs. 2 Alt. 2 StGB angeklagt und für schuldig befunden. Das Landgericht sah jedoch von der sonst vorgesehenen lebenslangen Freiheitsstrafe ab und verurteilte die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren. Dies erfolgte auf der Grundlage des BGH-Beschlusses vom 19.05.1981 – GSSt 1/81[2], der in Bezug zu heimtückischen Morden gegebenenfalls eine Strafmilderung wegen außergewöhnlicher Umstände im Einzelfall erlaubt.
Die Heimtücke betreffend stimmte der BGH in seiner Urteilsbegründung vom 25.03.2003 der Vorinstanz zu:
„Die Würdigung, sie habe die Arg- und Wehrlosigkeit ihres Mannes in feindlicher Willensrichtung bewußt zur Tötung ausgenutzt, wird von den Feststellungen getragen. M.F. hatte seine Arglosigkeit gleichsam „mit in den Schlaf genommen“ (vgl. BGHSt 23, 119, 121).“[3]
Die Angeklagte erhob gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen Revision bei dem BGH, der dem Landgericht Hechingen in den meisten Punkten zustimmte, aber dennoch zu dem Ergebnis kam, dass der Schuldspruch aufzuheben war. In diesem Fall waren vor allem die sogenannten Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe von großer Relevanz.
Notwehr als Rechtfertigungsgrund
Die Notwehr als Rechtfertigungsgrund bewirkt, dass eine zunächst strafbare Handlung im Ergebnis nicht rechtswidrig ist, weil der Täter durch das Opfer einer Gefahr ausgesetzt war, gegen die er sich verteidigen wollte. Zunächst könnte man meinen, dass es sich im vorliegenden Fall um Notwehr gemäß § 32 StGB handelte, da der Ehemann die Frau über Jahre hinweg misshandelte und sie sich mit dieser Tat nun dagegen wehrte. Dem stehen allerdings die Voraussetzungen der Notwehr entgegen, die besagen, dass ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff zur Annahme der Notwehr erforderlich ist.
Ein Angriff ist ein menschliches Handeln, das eine noch nicht endgültig abgeschlossene Rechtsgutverletzung oder einen Zustand verursacht, der die unmittelbare Gefahr einer Rechtsgutverletzung begründet.[4] Weiterhin ist der Angriff gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht oder schon begonnen hat.[5] Schlussendlich liegt die Rechtswidrigkeit des Angriffs vor, wenn der Angriff nicht mit der Rechtsordnung vereinbar ist.
Problematisch ist bei diesem Fall die Gegenwärtigkeit. Zwar gab es gegen die Angeklagte viele rechtwidrige Angriffe, für die Annahme der Notwehr bei der Tötung des Ehemannes lag jedoch nicht die notwendige Gegenwärtigkeit vor, da er zu diesem Zeitpunkt schlief. Die Tötung des Ehemanns durch die Angeklagte kann folglich nicht unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gerechtfertigt werden.
Rechtfertigender Notstand
Der BGH rügte, dass das Landgericht in der Vorinstanz keine Ausführungen zu dem möglichen rechtfertigenden Notstand getroffen hat. Der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB ist wie die Notwehr ein Rechtfertigungsgrund.
Der rechtfertigende Notstand zielt auf eine Abwägung zwischen dem Interesse des Opfers und dem Interesse des Täters ab, bei der festzustellen ist, ob das geschützte Interesse des Täters, der sich vor einer durch das Opfer bedingte Gefahr zu wehren versucht, dem beeinträchtigten Interesse des Opfers überwiegt. Das wohl bedeutendste Prinzip des rechtfertigenden Notstandes ist, dass eine Abwägung zwischen Leben und Leben nie zulässig ist. Dies ist sowohl unabhängig von quantitativen Abwägungen, ein Leben gegen viele Leben als auch unabhängig von qualitativen Abwägungen, jung gegen alt, gesund gegen krank.[6]
Diese Schlussfolgerung war demzufolge auch ausschlaggebend dafür, dass im Haustyrannen-Fall auch kein rechtfertigender Notstand als Rechtfertigungsgrund für den Mord an dem Ehemann anzunehmen war.
Entschuldigender Notstand
Der entschuldigende Notstand gehört nicht zu den Rechtfertigungsgründen einer Straftat, sondern zu den möglichen Entschuldigungsgründen, die bei ihrem Vorliegen die Schuld entweder gänzlich ausschließen oder zu einer Strafmilderung gemäß § 49 Abs. 1 StGB führen.
Voraussetzung für den entschuldigenden Notstand gemäß § 35 Abs. 1 StGB ist das Vorliegen einer Gefahr für Leib oder Leben, also ein Zustand, in dem aufgrund tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schädigenden Ereignisses besteht.[7] Im vorliegenden Fall lag eine solche Gefahr, die auch fortlaufend immer wieder in schädigenden Ereignissen resultierte, über einen längeren Zeitraum hinweg vor und wird dementsprechend auch als Dauergefahr bezeichnet.
Fraglich war vorliegend, ob es für die Angeklagte wirklich keine andere Möglichkeit zur Abwendung der Gefahr gegeben hatte. Der BGH sah als mögliche Handlungsalternativen die Wahrnehmung behördlicher Hilfe, wie eine Anzeige bei der Polizei oder die Flucht mit den Kindern in karitative Einrichtungen, wie beispielsweise ein Frauenhaus, vor. Die Angeklagte hätte laut dem BGH eine gewissenhafte Überprüfung der anderen Handlungsmöglichkeiten vornehmen müssen, was jedoch nicht näher vom Landgericht beurteilt wurde.
Der BGH stellte unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung staatlicher Stellen zum wirksamen Einschreiten weiterhin fest, dass die Gefahr, die von einem sogenannten Familientyrannen ausgeht, regelmäßig anders als durch die Tötung des Tyrannen abwendbar sei.[8]
Laut der Aussage des Landgerichts war die Angeklagte jedoch zutiefst davon überzeugt, sich in einer ausweglosen Lage zu befinden und dass die Tötung ihres Ehemannes die einzige Möglichkeit zur Rettung ihrer Kinder und sich selbst sein würde. Folglich lag die Vermutung nahe, dass die Angeklagte einem Irrtum unterlag, bei dem dessen Vermeidbarkeit wegweisend für die Strafbarkeit war.
Irrtümliche Annahme eines Entschuldigungsgrundes und Strafmilderung
Die Angeklagte war überzeugt davon, dass der Mord an ihrem Ehemann die einzige Möglichkeit zur Flucht vor ihm darstellte und irrte sich folglich über den Entschuldigungsgrund gemäß § 35 Abs. 1 StGB.
§ 35 Abs. 2 StGB besagt:
„(2) Nimmt der Täter bei der Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern.“[9]
Die Strafbarkeit der Angeklagten hing demnach von der Vermeidbarkeit dieses Irrtums ab. Für die Feststellung der Vermeidbarkeit kommt es vor allem darauf an, ob der Täter die möglichen alternativen Handlungsoptionen gewissenhaft überprüft hatte.[10] Durch den in diesem Fall in Frage stehenden Angriff auf das „höchste Individualrechtsgut“[11] stellte der BGH fest, dass sehr strenge Anforderungen an die Angeklagte zu stellen seien. Im Falle, dass die Kammer in der weiteren Beurteilung der Sache feststellen würde, dass die Angeklagte einem vermeidbaren Irrtum bezüglich des Entschuldigungsgrundes aus § 35 Abs. 1 StGB unterlag, so wäre laut BGH ihre Strafe gemäß §§ 35 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu mildern, welchen in Verbindung miteinander als gesetzlicher Milderungsgrund mehr Gewicht zukommt als dem Milderungsgrund aus analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen außergewöhnlicher Umstände.
Verurteilung wegen heimtückischen Mordes
Zur Überprüfung der in Frage stehenden Vermeidbarkeit des Irrtums der Angeklagten wurde der Fall zurück an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hechingen übergeben. Diese stellte nach der erneuten Überprüfung einen vermeidbaren Irrtum der Angeklagten bezüglich des Entschuldigungsgrundes gemäß § 35 Abs. 1 StGB fest und verurteilte die Angeklagte wegen des heimtückischen Mordes an ihrem Ehemann gemäß §§ 211 Abs. 2 Alt. 2, 35 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten.
[1] Urteil des 1. Strafsenats vom 25.3.2003 – 1 StR 483/02 – (bundesgerichtshof.de)
[2] BGHSt 30, 105.
[3] BGH, Urteil v. 25.03.2003 – 1 StR 483/02
[4] Fischer, 70. Aufl. 2023, StGB § 32 Rn. 5.
[5] Fischer, 70. Aufl. 2023, StGB § 32 Rn. 17.
[6] Fischer, 70. Aufl. 2023, StGB § 34 Rn. 14, 15.
[7] BGH, Urteil v. 25.03.2003 – 1 StR 483/02; vgl. BGHSt 18,271.
[8] BGH, Urteil v. 25.03.2003 – 1 StR 483/02.
[9] § 35 StGB – Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)
[10] Fischer, 70. Aufl. 2023, StGB § 35 Rn. 18.
[11] BGH, Urteil v. 25.03.2003 – 1 StR 483/02
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