Im Rahmen der Klimaproblematik wird von Klimaaktivisten zu immer härteren Mitteln gegriffen. So auch von der „Letzten Generation“, einer Gruppierung, die vor allem durch ihre Blockaden von Straßen bekannt wurde, bei denen sich regelmäßig Mitglieder mittels Sekundenkleber auf dem Boden fixieren und Autofahrer an ihrer Weiterfahrt hindern. Das Kammergericht Berlin hatte im August 2023 eine Entscheidung über eine eventuelle Strafbarkeit eines solchen Protests zu treffen. Diese Problematik rund um die Nötigung sowie den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wird in zukünftigen Staatsexamina voraussichtlich eine Rolle spielen und bedarf einer genauen Sachverhaltsanalyse.
Der Leitsatz des Kammergerichts Berlin lautete
1. Um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können, bedarf es einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten. Der bloße Hinweis, das Geständnis entspreche dem „aktenkundigen Ermittlungsergebnis“, genügt dafür nicht.
2. Eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur wesentlich zu erschweren.
3. Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vorzubereiten.
4. Dass Polizeibeamte das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt ihm in Bezug auf den Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit.
KG, Beschluss vom 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 (AG Tiergarten)
Zum Sachverhalt
Dem Beschluss liegt das Urteil des AG Tiergarten vom 12.01.2023 zugrunde. Die Angeklagte wurde wegen gemeinschaftlich begangener Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem sie mit drei weiteren Personen im Zuge der Gruppierung „Letzte Generation“ einen Autobahnzubringer blockierte. Die Gruppe nutzte Sekundenkleber, um sich auf der Straße zu fixieren und die Auflösung der Blockade durch die Polizei zu erschweren. Als Folge dieser Aktion entwickelte sich ein 60-minütiger Stau durch zahlreiche Fahrzeuge. Die Angeklagte richtete ihre Revision gegen dieses Urteil.
1. Fehler in der Beweiswürdigung
Das Kammergericht stellte zunächst fest, dass auf Seiten des AG Tiergarten Fehler in der Beweiswürdigung gemacht wurden, die aufgrund ihrer Erheblichkeit zur Aufhebung des ursprünglichen Urteils führten.
2. Feststellungen
Das Kammergericht konnte vorliegend allerdings nur allgemeine Feststellungen treffen, da die Umstände des Einzelfalls nicht abschließend vom AG Tiergarten aufgeklärt wurden.
Es ging bei der Strafbarkeit wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB im vorliegenden Fall auf zwei mögliche Probleme ein. Zunächst setzte es sich mit der Frage auseinander, ob das Festkleben auf dem Boden generell als Gewalt im Sinne des § 113 StGB zu verstehen war. Des Weiteren erörterte es, ob die Widerstandshandlung zum Zeitpunkt der Vollstreckungshandlung vollzogen werden muss oder ob eine vorherige Vorbereitung auf diese schon als Widerstand zu klassifizieren ist.
Im Hinblick auf die erste Frage bezüglich der Gewalthandlung hielt das Kammergericht fest, dass die Widerstandshandlung durch Schaffen eines physischen Hindernisses den Zweck der Erschwerung der Diensthandlung verfolgen müsse. Im vorliegenden Fall konnten die Vollstreckungsbeamten die Angeklagte nicht einfach von der Fahrbahn tragen, sie mussten zunächst mittels Lösungsmittel den Kleber überwinden. Dies dauerte etwa eine Minute und war somit nicht nur unwesentlich. Eine Gewalthandlung wurde folglich von dem Kammergericht bejaht.
Das Kammergericht führte weiterhin aus, dass der Zeitpunkt der Widerstandshandlung auch vor der eigentlichen Vollstreckungshandlung liegen könne, diese müsse nur bis zur Vollstreckungshandlung fortwirken. Besonders relevant ist laut Kammergericht also, ob die Widerstandshandlung explizit gegen die Diensthandlung gerichtet ist. Die hierfür erforderliche Einzelfallbetrachtung, mithin die mögliche Feststellung, die Angeklagte habe sich bewusst festgeklebt, um die polizeiliche Räumung der Blockade zu erschweren, lag seitens des AG Tiergarten jedoch nicht vor.
Das Amtsgericht wurde schlussendlich beauftragt, eine genauere Beurteilung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, ohne die eine Verurteilung nicht erfolgen könne.
Allgemeines
Gewaltbegriff
Die Gewalt wird allgemein als ein körperlich wirkender Zwang definiert, der durch die Entfaltung von Kraft oder durch eine physische Einwirkung sonstiger Art, die nach ihrer Zielrichtung, Intensität und Wirkungsweise dazu bestimmt und geeignet ist, die freie Willensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen aufzuheben oder zu beeinträchtigen.[1]
In Bezug auf den Gewaltbegriff wird zwischen zwei Arten der Gewalt unterschieden, der vis absoluta und der vis compulsiva.
Die vis absoluta, oder auch willensbrechende Gewalt, liegt vor, wenn der Täter durch körperliche Einwirkung die freie Willensbildung unmöglich macht. Dies kann beispielsweise bei dem Niederschlagen einer Person vorliegen, welche aufgrund ihrer Bewusstlosigkeit generell keinen Willen mehr bilden kann.
Die vis compulsiva, oder auch willensbeugende Gewalt, zeichnet sich dadurch aus, dass das Opfer nicht direkt durch eine Handlung des Täters, sondern durch das Verhalten des Täters zu einer Handlung gedrängt oder von einer solchen abgehalten wird. Ein Beispiel hierfür wäre ein Autofahrer, der auf eine Person zufährt, damit ihm diese aus dem Weg geht.
In beiden Fällen muss die Handlung des Täters einen körperlichen Zwang beziehungsweise eine Reaktion hervorrufen. Dieser Zwang wird beispielsweise auch bei Fallkonstellationen bejaht, bei denen der Täter das Opfer mit einer geladenen Pistole bedroht und es bei dem Opfer zu einer inneren Unruhe kommt.[2] Bei der erforderlichen Kraftentfaltung des Täters kommt es nicht auf den Kraftaufwand an, sondern darauf, dass der Täter irgendeine körperliche Handlung vornimmt.[3] So ist beispielsweise das Verabreichen von Betäubungsmitteln ebenfalls als Gewalt zu verstehen.[4]
[1] Matt/Renzikowski/Eidam, 2. Aufl. 2020, § 240 Rn. 14.
[2] BGHSt 23, 126 (127).
[3] BeckOK StGB/Valerius, 58. Ed. 1.8.2023, § 240 Rn. 9.
[4] BGHSt 1, 145 (147).
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