Das Urteil des BGH im Lederspray Fall gilt als Leitentscheidung in Bezug auf strafrechtlicher Produktverantwortlichkeit.
Das Lederspray Urteil des BGH gilt als Leitentscheidung in Bezug auf strafrechtlicher Produktverantwortlichkeit und beantwortet Fragen bezüglich der generellen und konkreten Kausalität, der Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten sowie der Mittäterschaft bei Gremienentscheidungen.
Der Sachverhalt im Lederspray Fall
Firma W-GmbH produzierte unter anderem Schuh- und Lederpflegeartikel in abgefüllten Treibgasdosen zum Versprühen. Zwei Tochterfirmen vertrieben die Produkte zur Leder Pflege auf verschiedenen Märkten. Ab dem Spätherbst 1980 gingen bei der Firmengruppe Schadensmeldungen ein, in denen berichtet wurde, dass Personen nach dem Gebrauch von den Ledersprays gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten. Diese Beeinträchtigungen äußerten sich zumeist in Atembeschwerden, Husten, Übelkeit, Schüttelfrost, Fieber und Lungenödemen (Flüssigkeitsansammlungen in der Lunge).
Die ersten Schadensmeldungen lösten firmeninterne Untersuchungen aus, welche keine ausschlaggebenden Fabrikationsfehler zu tage förderte. Lediglich ein Wirkstoff der Rezeptur wurde geändert, was umgehend rückgängig gemacht wurde. Es folgten weitere Schadensmeldungen. Fachgespräche mit Toxikologen und Ärzten brachten keine Erklärung.
Mitte April 1981 kam es zu einem kurzfristigen Produktions- und Vertriebsstopp, dieser wurde jedoch, nachdem Untersuchungen in der Firmeneignen Chemieabteilung ohne Ergebnis geblieben waren, nach wenigen Tagen wieder aufgehoben.
Am 12.05.1981 fand eine Sondersitzung der Geschäftsführung statt deren einziger Tagesordnungspunkt die bekanntgewordenen Schadensfälle waren. Teilnehmer waren unter anderem sämtliche Geschäftsführer der Firma und der Leiter des Zentrallabors, welcher den Sachstand vortrug, dass es keine Anhaltspunkte für eine toxische Eigenschaft gibt.
Daraufhin wurden Warnhinweise auf den Dosen angebracht und der Vertriebsstopp beendet. Lediglich wenn ein „echter Produktfehler“ gefunden werde, würde es zu einer Rückruf- und Warnaktion kommen. Erst am 20.09.1983 kam es aufgrund der Interventionen des Bundesgesundheitsamts und des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit zu einem Verkaufsstopp und einer Rückrufaktion. Schadensfälle sind bis zu dem Zeitpunkt weiter eingegangen.
Es kommt zu Ermittlungen wegen fahrlässiger und vorsätzlicher Körperverletzung. Das LG Mainz verurteilte die Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung für die Geschehnisse vor und bis zu der Sondersitzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung für die Geschehnisse nach der Sondersitzung.
Die Sache ging ins Revisionsverfahren beim BGH. Das Urteil des BGH unterschied sich kaum von dem des LG Mainz. Die Geschäftsführer wurden der fahrlässigen Körperverletzung durch Tun (vgl. § 229 StGB) und der vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen (vgl. §§ 223 I, 224 I Nr. 5, 13 I StGB) schuldig gesprochen. Auch hier war die Sondersitzung der Zeitpunkt ab wann nicht mehr fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt wurde.
Die Hauptprobleme der Entscheidung im Lederspray-Fall
Generelle Kausalität
Im Fall Lederspray hatte das Gericht Probleme die Kausalität zwischen der Beschaffenheit des Ledersprays und den Gesundheitsschäden festzustellen. Deshalb wurde die generelle Kausalität entwickelt. Diese ist auch dann gegeben, wenn offenbleibt, welche genaue (toxische) Substanz in dem Produkt zu den Schädigungen geführt hat. Es findet dann ein Ausschlussverfahren von allen möglichen Ursachen der Gesundheitsschädigung statt und wenn keine andere Schadensursache in Betracht kommt, wird die generelle Kausalität angenommen.
Im strengen naturwissenschaftlichen Sinne müssten für die Gültigkeit des Ausschlussverfahren alle oder nahezu alle Ersatzursachen geprüft und ausgeschlossen werden. Im Gerichtsverfahren reicht es jedoch alle in Betracht kommenden Ursachen zu prüfen.
Im Fall Lederspray fand eine Befragung sämtlicher Geschädigten statt. Aspekte wie die Luftverschmutzung am Wohnort, Nähe zu Atomkraftwerken, neugekaufte Pflegeprodukte, Beruf und viele weitere wurden erfragt. Dies führte zu unzähligen Daten, die ausgewertet werden mussten. Nach der Auswertung stand fest, dass alle Geschädigten das Lederspray benutzten und kurz danach erkrankten. Dies reichte nach der generellen Kausalität aus, um festzustellen, dass das Lederspray mangelhaft und gesundheitsschädigend ist. Bis zum Ende des Verfahrens konnten Toxikologen nicht herausfinden, welcher Stoff oder welche Stoffkombination das Lederspray toxisch gemacht hat. Da dies nach der generellen Kausalität auch nicht notwendig war, wurden die Geschäftsführer aufgrund ihrer Pflichtverletzung zur Rechenschaft gezogen.
Pflichtenstellung eines Geschäftsführers
Die Grundlegende Frage ist, wie sind die Aufgaben innerhalb der Geschäftsleitung eines Wirtschaftsunternehmens verteilt? Der Regelfall ist eine Ressortzuständigkeit. Im Grundsatz haftet jeder Geschäftsführer nach der internen Ressortverteilung für sein Ressort. Die Mitglieder der Geschäftsleitung können grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich andere Mitglieder der Geschäftsleitung innerhalb des ihnen zugewiesenen Aufgabenbereichs rechtmäßig verhalten. Dies wird auch Vertrauensgrundsatz genannt.
Der Ausnahmefall ist eine Gesamtverantwortung. Bei einem ressortübergreifenden Problem haften dann alle Geschäftsführer als Mittäter. Dies lässt sich aus dem Prinzip der Generalverantwortung und der Allzuständigkeit der Geschäftsleitung ableiten. Befindet sich das ganze Unternehmen in einer Krisen- oder Ausnahmesituation sind die Geschäftsführer insgesamt zum Handeln berufen.
Im Fall Lederspray handelte es sich folglich um einen Ausnahmefall der Gesamtverantwortung, da mehrere Ressorts wie z.B. das Finanzressort, Produktentwicklungs Ressort und der Vertrieb betroffen waren. Das es sich bei den Schadensmeldung und der Entscheidung, ob eine Verkaufsstopp und eine Rückrufaktion eingeleitet werden, um eine Entscheidung für das ganze Unternehmen handelt, zeigt bereits, dass die Geschäftsführer die Sondersitzung einberiefen und gemeinsam entschieden haben.
Kausalität bei Gremienentscheidungen
Hier muss zunächst zwischen der Kausalität beim Tun und der Kausalität beim Unterlassen unterschieden werden.
- Definition Kausalität beim Tun: Kausal ist jede Bedingung, die nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
- Definition beim Unterlassen: Ein Unterlassen ist, dann kausal, wenn die rechtlich erwartete Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele
Bei Gremienentscheidungen stellt sich jedoch die Frage, wie sich die einzelnen Geschäftsführer verhalten müssen, um pflichtgemäß zu handeln. Dies ist vor allem bei einer demokratischen Entscheidungsfindung problematisch, da einzelne Geschäftsführer überstimmt werden können. Der BGH hat diese Problematik im Zuge der Lederspray-Entscheidung entschieden und gesagt, dass in Fällen wo mehrere Beteiligte unabhängig voneinander den tatbestandsmäßigen Erfolg erst durch die Gesamtheit ihrer Handlungsbeiträge herbeiführen, jeder einzelne Beitrag im haftungsbegründenden Sinne ursächlich ist.
Mit anderen Worten bedeutet das, dass wenn sie als Geschäftsführer zusammen mit den anderen Geschäftsführern eine Entscheidung treffen (wie z.B. im Lederspray-Fall ein gesundheitsschädigendes Produkt nicht vom Markt zu nehmen) sie alle strafrechtlich belangt werden können.
Jeder Geschäftsführer, der es trotz seiner Mitwirkungskompetenz unterlässt, seinen Beitrag zum Zustandekommen der gebotenen Rückrufentscheidung zu leisten, setzt damit eine Ursache für das Unterbleiben der Maßnahme. Dies gilt auch, wenn sie sich bei der Entscheidung enthalten oder nach herrschender Meinung dagegen stimmen und im späteren Verlauf nichts mehr unternehmen (z.B. Aufsichtsbehörde einschalten). Der Aspekt, dass das eigene strafrechtlich korrekte Verlangen, die Rückrufentscheidung zu treffen, am Widerstand der anderen Geschäftsführer gescheitert wäre, ist irrelevant.
Was können Sie tun, um nicht strafrechtlich belangt zu werden?
- Gegen strafrechtlich fragwürdige Entscheidungen stimmen
- Sondersitzungen zu solchen Themen durch ihre Abwesenheit verhindern
- Alles dafür tun, dass fehlerhafte Produkte vom Markt genommen werden
- Dafür sorgen, dass keine fehlerhaften Produkte auf den Markt kommen
- Wenn das Gremium eine Entscheidung getroffen hat, welche sie für moralisch und rechtlich falsch halt, diese Entscheidung von Externen überprüfen lassen
- Sich rechtlichen Rat bei einem Fachanwalt für Straf- und Wirtschaftsrecht holen
Leitsätze der BGH Entscheidung zu Verdeutlichung der rechtlichen Einordnung
Generelle Kausalität
„Der Ursachenzusammenhang zwischen Beschaffenheit eines Produkts und Gesundheitsbeeinträchtigungen seiner Verbraucher ist auch dann rechtsfehlerfrei festgestellt, wenn offenbleibt, welch Substanz den Schaden ausgelöst hat, aber andere in Betracht kommende Schadensursachen auszuschließen sind.“
Pflicht fehlerhafte vom Markt zu nehmen (Garantenstellung)
Wer als Hersteller (Vertriebshändler) Produkte in den Verkehr bringt, die derart beschaffen sind, dass deren bestimmungsgemäße Verwendung für die Verbraucher die Gefahr des Eintritts gesundheitlicher Schäden begründet, ist zur Schadensabwendung verpflichtet. Kommt er dieser Pflicht schuldhaft nicht nach, so haftet er für dadurch verursachte Schäden strafrechtliche unter dem Gesichtspunkt der durch Unterlassen begangenen Körperverletzung.
Rückrufpflicht
Aus der Garantenstellung des Herstellers (Vertriebshändlers) ergibt sich die Verpflichtung zum Rückruf bereits in den Handel gelangter, gesundheitsgefährdender Produkte.
Pflichtenstellung der Geschäftsführer bei Rückrufentscheidungen
Haben in einer GmbH mehrere Geschäftsführer gemeinsam über die Anordnung des Rückrufs zu entscheiden, so ist jeder Geschäftsführer verpflichtet, alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um diese Entscheidung herbeizuführen.
Beschließen die Geschäftsführer einer GmbH einstimmig, den gebotenen Rückruf zu unterlassen, so haften sie für die Schadensfolgen der Unterlassung als Mittäter.
Jeder Geschäftsführer, der es trotz seiner Mitwirkungskompetenz unterlässt, seinen Beitrag zum Zustandekommen der gebotenen Rückrufentscheidung zu leisten, setzt damit eine Ursache für das Unterbleiben der Maßnahme (Rückruf). Dies begründet seine strafrechtliche Haftung auch dann, wenn er mit seinem Verlangen, die Rückrufentscheidung zu treffen, am Widerstand der anderen Geschäftsführer gescheitert wäre.