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Schuldig nach Freispruch: ist das möglich?

Schuldig nach Freispruch: Ist bald ein Wiederaufnahmeverfahren abgeschlossener Strafverfahren möglich?

Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD haben einen Gesetzentwurf eingereicht, mit dem die Wiederaufnahme (ein Wideraufnahmeverfahren) eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu Lasten eines freigesprochenen Angeklagten bei schwersten Straftaten ermöglicht werden soll. Dieses Vorhaben könnte allerdings verfassungswidrig sein.

Um was geht es? Rechtsanwalt Daniel Ciobanu aus Hannover klärt auf:

Die CDU/CSU und SPD planen, die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Strafverfahrens für schwerste Straftaten zu erleichtern und die Hürden für die Aufhebung eines rechtskräftigen Freispruchs senken. Diese Maßnahme ist unter Juristen sowie Juristinnen umstritten.

Wie ist die aktuelle Rechtslage bzgl. der Wiederaufnahme abgeschlossener Straftaten?

Juristisch ist eine Maßnahme, welche die Schwelle für eine nachträgliche Verurteilung eines rechtskräftig freigesprochenen Angeklagten heruntersetzt, recht heikel. Bereits im ersten Semester des Studiums der Rechtswissenschaften lernt man den aus dem römischen Recht stammenden Satz ne bis in idem, was mit nicht zweimal in derselben Sache übersetzt werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass niemand zweimal für dasselbe Verbrechen bestraft werden darf (für das gleiche Verbrechen jedoch schon). Dieses Prinzip findet sich heute in Art. 103 Abs. 3 GG wieder. Der Artikel verbietet neben der zweifachen Bestrafung auch die zweimalige Tatverfolgung der gleichen Tat: „Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“ Ein Verbot der Doppelbestrafung ist explizit auch in Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geregelt.

Da der Sinngehalt dieses Artikels überwiegend über diesen Satz hinausgeht, bedeutet er auch, dass der Staat nicht mehr eingreifen darf, wenn ein strafgerichtliches Verfahren mit einem rechtskräftigen Freispruch abgeschlossen wird. Das Bundesverfassungsgericht begründet dies mit der Rechtssicherheit der Verfahrensteilnehmer, was bedeutet, beide Seiten des Verfahrens sollen auf die weiterwirkende Rechtskräftigkeit des Urteils vertrauen können. Die wesentliche Schwierigkeit hierbei ist es, einen Weg zur Wiederaufnahme der Verfahren zu finden, der keiner Grundgesetz Änderung bedarf: dieses beinhalte nämlich grundsätzlich keine Möglichkeit, neue gesetzliche Ausnahmen von dem in Art. 103 Abs. 3 GG gewährleisteten Prinzip zu schaffen, so Ministeriumssprecher Maximilian Kall. Änderungen des Wiederaufnahmerechts zu Lasten des Angeklagten seien deshalb ohne eine Grundgesetzänderung nur in Randbereichen zulässig.

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu Lasten eines rechtskräftig freigesprochenen Angeklagten ist zwar gem. § 362 StPO (Strafprozessordnung) in diesen Randbereichen möglich, unterliegt aber strengen Bedingungen, da sie einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Angeklagten darstellt. Sie kann bisher lediglich stattfinden, sofern der / die Angeklagte(n) aufgrund einer unechten / gefälschten Urkunde, einer falschen Versicherung eines Zeugen / Sachverständigen an Eides statt oder einer Verletzung der Amtspflichten eines Richters / Schöffen freigesprochen wurde, oder er nachträglich ein glaubwürdiges Geständnis ablegt.

Anwalt Daniel Ciobanu – Strafverteidiger in Hannover – hinterfragt: Wieso diese Reform?

Ziel der Wiederaufnahme des Verfahrens ist es, den freigesprochenen Angeklagten nachträglich gerecht bestrafen zu können. Dieser neue Gesetzentwurf bezweckt eine Erweiterung der Bedingungen hierfür um eine fünfte Bedingung in § 362 StPO. Wie es in der Begründung heißt, sind nach derzeitiger Rechtslage neue Tatsachen und Beweismittel als allgemeiner Wiederaufnahmegrund nicht zugelassen. Dies führe zu dem Ergebnis, dass selbst bei den schwersten Straftaten –Mord, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – ein in einem Freispruch geendetes Verfahren selbst unter den Umständen nicht wiederaufgenommen werden kann, in denen Beweismittel nachträglich einen eindeutigen Nachweis der Täterschaft zulassen. Nach geltendem Recht bleibe es, wenn der freigesprochene Angeklagte kein Geständnis ablegt, beim rechtskräftigen Freispruch.

Welche Konsequenzen / Auswirkungen hätte ein solch neues Gesetz?

Wie die Deutsche Presseagentur (DPA) meldet, würde § 362 StPO bei Erlass des Gesetzes um eine Bestimmung ergänzt werden, nach der bei unverjährbaren Taten eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Lasten des freigesprochenen Angeklagten statthaft ist, wenn durch neue Beweismittel die Tat nachgewiesen werden kann. Neue belastende Informationen könne es dem Gesetzentwurf nach vermehrt geben, sofern nach Abschluss eines Verfahrens neue Untersuchungsmöglichkeiten erfunden werden. Seit den späten 1980er Jahren sei dies beispielsweise mit der DNA Analyse der Fall gewesen; heute bietet die moderne Forensik neue Erkenntnisse. Diese neuen technischen Verfahren führten dazu, dass zum Zeitpunkt des betreffenden Strafverfahrens bereits gegebene und bekannte Beweismittel neu ausgewertet werden und Tatnachweise nachträglich sicher erbracht werden können. Ein Festhalten am Freispruch stelle damit eine nicht tragbare Ungerechtigkeit dar.
Der Bundesarbeitskreis der CDU Juristen (BACDJ) hatte überdies angeregt, generell bei Fund neuer Tatsachen und Beweismittel die Wideraufnahme zu ermöglichen, wenn diese dringende Gründe für die Annahme bilden, dass der freigesprochene Angeklagte verurteilt werden könnte. Nach dieser Ansicht könnten zum Beispiel auch spätere, belastende Zeugenaussagen ein Grund sein, dass Verfahren wiederaufzunehmen.

Was spricht gegen eine Anpassung der Gesetzeslage?

Diese geplante Gesetzesänderung wird stark kritisiert. Mit dem Hintergrund, dass die Wiederaufnahmemöglichkeit zu Lasten eines freigesprochenen Angeklagten in anderen Staaten, beispielsweise im angloamerikanischen Rechtskreis, unbekannt ist, wird von vielen Seiten eher eine Einschränkung der Möglichkeiten zur Wiederaufnahme als eine Erweiterung dieser gefordert.
Mit den Änderungsplänen stellt sich die SPD Bundestagsfraktion so gegen das SPD geführte Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV), welches die Möglichkeit einer Änderung seit 2019 prüft und inzwischen ablehnt. Neben dem BMJV kritisiert der Deutsche Anwaltsverein (DAV) die Pläne der Bundesregierung mit Hinweis auf den Gehalt der Rechtskräftigkeit des Art. 103 Abs. 3 GG: „Ein derartiges Vorhaben verstößt gegen Art. 103 Abs. 3 GG, der nach allgemeiner Auffassung auch die Verfolgung nach einem Freispruch verbietet“, sagt Strafverteidiger Stefan Conen. Die Unionsfraktion im Bundestag hingegen unterstützt eine Änderung von § 362 StPO: eine derartige Änderung sei „zwar auf der einen Seite verfassungsrechtlich nicht trivial, aber andererseits rechtspolitisch wünschenswert“. Laut dem rechtspolitischen Sprecher der Unionsfraktion Jan-Marco Luczak sei es jedoch nicht hinnehmbar, „wenn ein Mörder weiter frei herumlaufen könne, obwohl er aufgrund neuer Beweismittel sicher überführt werden könnte“. Die tatsächliche Umsetzung des Vorhabens der großen Koalition ist allerdings aufgrund der immensen Bedeutung des Grundgesetzes abzuwarten – in der Vergangenheit sind bereits mehrere Änderungsversuche im Bereich der Wiederaufnahme aufgrund der verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert.

Die Quellen:

https://brak.de/zur-rechtspolitik/national/aktuelles/scharfe-kritik-der-brak-an-vorpreschen-bei-wiederaufnahme-zu-lasten-freigesprochener/
https://jura-online.de/blog/2019/11/22/reform-der-wiederaufnahme-schuldig-nach-freispruch/
https://jura-online.de/blog/2021/02/17/ne-bis-in-idem-ist-die-wiederaufnahme-zu-ungunsten-von-mord-angeklagten-verfassungsgemass/
https://www.bundestag.de/presse/hib/846646-846646
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/wiederaufnahme-moerder-freispruch-strafverfahren-rechtskraft-bmjv-dav-verfassung-spd-cducsu/
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/strafrecht-freispruch-verurteilung-mord-dna-wiederaufnahme-doppelbestrafungsverbot/
https://pixabay.com/de/photos/grundgesetz-deutschland-buch-2454404/

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Hannah-Maria Günter, LL.M.

Anwalt für Medizinrecht, Arbeitsrecht, Miet- und WEG-Recht aus Hannover

Zertifizierung zur Mediatorin (IHK)

Zertifizierung zum Coach (IHK)

Master of Laws (LL.M.) (Medizinrecht)

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Zulassung zur Rechtsanwältin

Studium der Rechtswissenschaften und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Immaterialgüterrecht und IT-Recht an der Leibniz Universität Hannover