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Untersuchungshaft – Definition & Gründe

Inhaltsverzeichnis

Die Untersuchungshaft, oder auch U-Haft, ist eine wichtige Zwangsmaßnahme in der deutschen Rechtsordnung, die den Fortgang des Ermittlungsverfahrens schützt und so im Ergebnis zu einer sorgfältigen Aufklärung des Sachverhalts führen soll. Sie ist in vielen Fällen unerlässlich und folgt strengen Regelungen, da sie im Prinzip gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 II EMRK verstößt, indem sie einem bisher nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten die Freiheit entzieht.

Der Zweck der Untersuchungshaft besteht in der Durchsetzung des Anspruchs der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und möglichst zeitnahe Bestrafung des Täters.[1]

Was versteht man unter Untersuchungshaft?

Untersuchungshaft bedeutet, dass der Beschuldigte einer Straftat ohne Verurteilung in Gewahrsam genommen und einer Justizvollzugsanstalt zugeführt wird. Inhaftierte der Untersuchungshaft unterliegen, je nach richterlicher Anordnung, gemäß § 119 Abs. 1 StPO verschiedene Beschränkungen gegenüber den Inhaftierten, die sich in Strafhaft befinden. Im Wortlaut des § 119 Abs. 1 StPO heißt es konkret:

            „[…] Insbesondere kann angeordnet werden, dass

  1. der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen,
  2. Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind,
  3. die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf,
  4. der Beschuldigte von einzelnen oder allen Inhaftierten getrennt wird,
  5. die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.[2]

Diese zunächst sehr streng wirkenden Gegebenheiten beruhen auf gut nachvollziehbaren Gründen, denn damit soll die uneingeschränkte Weiterführung des Ermittlungsverfahrens garantiert werden, welches durch Absprachen von Mittätern oder der möglichen Bedrohung von Zeugen erschwert werden kann.

Besondere Formen der Untersuchungshaft sind die Hauptverhandlungshaft gemäß § 127b StPO, die Sicherungshaft gemäß § 453c StPO, die Vollstreckungshaft gemäß § 457 II StPO und die Ungehorsamshaft gemäß §§ 230, 236, 329 IV 1 StPO.

Die Gründe für eine Untersuchungshaft

Eine Untersuchungshaft kann und wird nicht bei jedem Delikt und jedem Beschuldigten angeordnet. Es gelten strenge Voraussetzungen, die zur Rechtfertigung einer Untersuchungshaft erfüllt sein müssen. Diese sind der dringende Tatverdacht, das Vorliegen eines einschlägigen Haftgrundes und die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit.

Ein dringender Tatverdacht besteht grundsätzlich, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer nach der deutschen Rechtsordnung strafbaren Tat ist.[3] Er darf nicht nur auf bloßen Vermutungen beruhen, sondern muss aus konkreten Tatsachen resultieren.

Die möglichen Haftgründe sind in § 112 StPO, sowie in § 112a StPO normiert. Einschlägige Haftgründe sind die Flucht, die Fluchtgefahr, die Verdunklungsgefahr, sowie die Wiederholungsgefahr.

Haftgrund der Flucht § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO

Der Haftgrund der Flucht wird bejaht, wenn der Beschuldigte entweder flüchtig oder verborgen ist. Der Beschuldigte ist flüchtig, wenn er seine bisherige Wohnung vor, während oder nach der Tat ersatzlos verlässt, beziehungsweise sich ins Ausland absetzt.[4]

Verborgen ist der Beschuldigte, wenn er unter falschem Namen, beziehungsweise an einem unbekannten Ort lebt, um sich dem Verfahren dauerhaft oder auf längere Zeit zu entziehen. Der Beschuldigte muss die daraus resultierende Erschwerung des Strafverfahrens erkennen und zumindest billigend in Kauf nehmen.[5] Zum Zeitpunkt, an dem der Beschuldigte gefasst wird, entfällt der Haftgrund der Flucht gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO. Im weiteren Verlauf kann die vergangene Flucht allerdings zu der Begründung der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO herangezogen werden kann.[6]

Fluchtgefahr § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO

Bei der Fluchtgefahr besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte in Zukunft der Strafverfolgung entziehen möchte. Der ausschlaggebende Punkt bei der Fluchtgefahr ist das Sich-Entziehen des Täters. Hierunter wird ein Verhalten verstanden, welches auf den Erfolg abzielt, das Strafverfahren durch die fehlende Beteiligung des Beschuldigten, beispielsweise die Wahrnehmung von Ladungen, zu verhindern.[7] Zur Beurteilung der Fluchtgefahr müssen sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Hierzu zählen beispielsweise die Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat oder dessen Lebensverhältnisse.[8] Ähnlich wie beim hinreichenden Tatverdacht muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit zur Annahme der Fluchtgefahr gegeben sein.

Verdunkelungsgefahr § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO

Der Haftgrund der Verdunkelungshandlung wird bejaht, wenn zu erwarten ist, dass der Beschuldigte ohne die Anordnung der Untersuchungshaft:

[…] a) Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder

b) auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder

c) andere zu solchem Verhalten veranlassen […][9] werde.

Zu beachten ist, dass die Erschwerung des Ermittlungsverfahrens durch die Vornahme einer der oben genannten Handlungen durch den Beschuldigten wahrscheinlich sein muss, die bloße Möglichkeit genügt hingegen nicht. Zur Begründung der Verdunkelungsgefahr können auch frühere Verurteilungen des Beschuldigten, wegen ihrer Art nach, irreführenden Straftaten herangezogen werden, wie beispielsweise eine Verurteilung wegen Meineids oder der Vortäuschung einer Straftat. Zu beachten ist, dass die Handlungen des Beschuldigten prozessordnungswidrig sein müssen und demnach das bloße Bestreiten der Tat keine Verdunkelungsgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO begründet.[10]

Wiederholungsgefahr § 112a Abs.1 StPO

In bestimmten Fällen kann auch die Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. 1 StPO einen tauglichen Haftgrund darstellen, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist, eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO oder eine Straftat, die nach ihrer Art her meist von Serientätern verübt wird, gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO begangen zu haben. Während bei Nr. 1 bereits die einmalige Tatbegehung genügt, um weitere Folgetaten zu vermuten, müssen bei Nr. 2 bereits mehrere gleichartige Delikte begangen worden sein. Die Vorschrift bezweckt, einen besonders schutzwürdigen Kreis der Bevölkerung vor mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden schweren Straftaten zu bewahren.[11]

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr aus § 112a StPO ist subsidiär zu den Haftgründen gemäß § 112 StPO. Das bedeutet, dass erst nach gescheiteter Prüfung der Haftgründe des § 112 StPO die Wiederholungsgefahr geprüft werden darf.

Absoluter Haftgrund der Tatschwere § 112 Abs. 3 StPO

Neben den gesetzlichen Haftgründen gibt es gemäß § 112 Abs. 3 StPO auch den absoluten Haftgrund der Tatschwere, der verschiedene Delikte umfasst, die aufgrund ihrer Schwere und der Gefährdung von Leib und Leben eines anderen die Untersuchungshaft rechtfertigen. Beispiele für solche Delikte sind: Mord, Totschlag, besonders schwere Brandstiftung, Brandstiftung mit Todesfolge, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, Taten des Terrors, Völkermord und Verbrechen der Aggression.

Verhältnismäßigkeit

Die Verhältnismäßigkeit ist ein wesentlicher Teil der Prüfung einer Untersuchungshaft. Sie soll gewährleisten, dass die Anordnung der Untersuchungshaft unter Abwägung zwischen der vorgeworfenen Straftat und den Folgen einer Untersuchungshaft und dem damit verbundenen Eingriff in die Rechte des Beschuldigten nicht außer Verhältnis steht. Ebenso wird hier das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung berücksichtigt, welches zur Anordnung eines Haftbefehls das Interesse des Beschuldigten an seiner Freiheit überwiegen muss. Ist festzustellen, dass der Zweck der Untersuchungshaft, also die Sicherung des Ermittlungsverfahrens, durch andere Mittel gleichwertig erreicht werden kann, so ist die Anordnung eines Untersuchungshaftbefehls unverhältnismäßig und somit rechtswidrig.

Untersuchungshaftbefehl

Wenn die zuständige Staatsanwaltschaft einen Haftgrund feststellt, so stellt sie den Antrag auf den Erlass eines Haftbefehls bei dem zuständigen Richter, § 125 Abs. 1 StPO. Die darauffolgende Vollstreckung des Haftbefehls ergeht dann anschließend durch die Polizei, die den Beschuldigten dann unverzüglich bei dem gemäß § 126 Abs. 1 StPO zuständigen Richter vorführen muss, § 115 StPO. Dieser Richter prüft dann, ob der Haftbefehl entweder gemäß § 115 Abs. 4 StPO aufrechterhalten, gemäß § 120 StPO aufgehoben oder nach § 116 StPO, ob der Vollzug des Haftbefehls ausgesetzt wird.

Schon während dieser Prüfung kann sich der Beschuldigte zu dem Tatverdacht äußern, dies sollte aber dringlichst im Zuge des Schweigerechts vermieden und anstelle dessen ein Anwalt kontaktiert werden, auf dessen Hinzuziehung der Beschuldigte gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ein Recht hat. Sollte bei dem Beschuldigten die sogenannte Haftunfähigkeit festgestellt werden, also das Vorliegen einer schweren psychischen oder physischen Erkrankung, so hindert das nicht den Erlass des Untersuchungshaftbefehls, sondern lediglich dessen Vollstreckung.[12]

Des Weiteren ist es unzulässig mehrere Haftbefehle in der gleichen Sache zu erlassen, in einem solchen Fall ist der ursprüngliche Haftbefehl zu ergänzen oder es ist ein neuer aufzusetzen.[13] Auch die zeitgleiche Vollziehung zweier Haftbefehle in unterschiedlichen Sachen ist nicht möglich. Bei mehreren Haftbefehlen wird die sogenannte Überhaft notiert, die bedeutet, dass nach der Vollziehung des einen Haftbefehls im Anschluss noch ein weiterer vollzogen werden muss.

Die Rechte und Pflichten des Beschuldigten nach Erhalt eines Untersuchungshaftbefehls

Während der U-Haft hat der Beschuldigte die Möglichkeit, eine gerichtliche Prüfung, auch Haftprüfung, bei Gericht zu beantragen, die zu der Aufhebung oder der Aussetzung der Untersuchungshaft führen kann. Der Haftbefehl kann auch in Bezug auf die vorgeworfenen Taten, wie auch in Bezug auf den Haftgrund, inhaltlich geändert werden. Die Entscheidung muss grundsätzlich nach 20 Tagen dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft verkündet werden.[14] Hier gilt es zu beachten, dass für den Fall, dass der Beschuldigte die Untersuchungshaft zur Vollstreckung einer anderen Strafsache unterbricht, ein Antrag auf Haftprüfung gemäß § 117 StPO unzulässig ist.

Ein weiterer Rechtsbehelf des Beschuldigten ist die Haftbeschwerde gemäß §§ 304 ff. StPO, die sich gegen die Anordnung des Untersuchungshaftbefehls richtet. Ist diese Beschwerde zulässig, so führt sie dazu, dass ein Gericht der höheren Instanz des ursprünglichen Gerichts dessen Entscheidung nochmals überprüft. Im Gegensatz zu der Haftprüfung findet hier keine mündliche Verhandlung statt. Eine Beschwerde gemäß § 304 StPO kann auch vor der Vollstreckung des zugehörigen Haftbefehls erhoben werden.[15] Sollte die Haftbeschwerde gemäß § 304 StPO keinen Erfolg haben, kann der Beschuldigte auch gegen diese Entscheidung eine Beschwerde gemäß § 310 Abs. 1 StPO einlegen.

Liegt gegen Sie ein Untersuchungshaftbefehl vorliegen, so bewahren Sie Ruhe und kontaktieren Sie Ciobanu Rechtsanwälte aus Hannover zu ihrer Unterstützung – wir agieren bundesweit.


[1] BVerfGE 20, 49.

[2] § 119 StPO – Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[3] Meyer-Großner/Schmitt StPO § 112 Rn. 5.

[4] OLG Braunschweig NJW 1964, 1485; OLG Düsseldorf NJW 1986, 2204 (2205).

[5] OLG Koblenz NStZ 1985, 88; LG Hamburg StV 1987, 399.

[6] Meyer-Großner/Schmitt StPO § 112 Rn. 16.

[7] BGHSt 23, 380 (384); BGH NJW 2014, 2372; Meyer-Großner/Schmitt StPO § 112 Rn. 18.

[8] OLG Köln StV 1995, 475.

[9] § 112 StPO – Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[10] OLG Frankfurt a.M. NJW 1960, 351; OLG Hamm StV 1985, 114.

[11] BVerfGE 19, 342 (350).

[12] OLG Düsseldorf JZ 1984, 248; OLG Frankfurt a.M. NJW 1968, 2302; OLG Nürnberg OLGSt § 116 Nr. 1.

[13] Meyer-Großner/Schmitt StPO § 112 Rn. 11.

[14] EGMR NJW 2019, 2143.

[15] OLG Hamm NStZ-RR 2001, 254.

Beitragsbild: Matthew Ansley (@ansleycreative) / unsplash.com

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Anwalt für Medizinrecht, Arbeitsrecht, Miet- und WEG-Recht aus Hannover

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Studium der Rechtswissenschaften und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Immaterialgüterrecht und IT-Recht an der Leibniz Universität Hannover