Der Sirius Fall zeichnet sich, ähnlich wie der Katzenkönigfall, durch seine skurrile Hintergrundgeschichte sowie deren schockierende Folge aus. Auch dieser Fall ist ein Strafrechtsklassiker, der in den frühen Semestern von den Jurastudierenden gelernt wird. Der Fall beruht auf einer wahren Geschichte und mündete in dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 5. Juli 1983 (Az.: 1 StR 168/83).[1]
Der Sachverhalt im Sirius Fall
Der Sirius Fall entwickelte sich zwischen dem F und der H, welche nach ihrem Kennenlernen eine tiefe Freundschaft entwickelten, bei der sie sich gemeinsam mit Theorien der Philosophie und Astrologie beschäftigten. Diese Freundschaft wurde so stark, dass der F für die H eine Art Lebensberater in allen Situationen wurde und sie ihm blind vertraute.
Nach einiger Zeit eröffnete der F der H, dass er vom Planeten Sirius komme und auf die Erde geschickt worden sei, um würdige Menschen ausfindig zu machen, die mit ihm zurück auf den Planeten Sirius reisen sollten. Und so hätte er die H gefunden und wolle sie nun mit sich nehmen, wozu sie allerdings einen völligen Zerfall von Körper und Seele in Kauf nehmen müsse. H glaubte dem F die Geschichte über seine Herkunft und war entschlossen, seinen Anweisungen zu folgen.
F veranlasste die H in diesem Zug zu einer Zahlung von 30.000 DM an einen angeblichen Mönch, der ihr bei ihrer „Umwandlung“ behilflich sein würde. Die H, die den Geschichten des F Glauben schenkte, wusste nicht, dass diese Zahlung allein dem F zukam und es diesen Mönch niemals gab. Des Weiteren überredete der F die H, eine Lebensversicherung in Höhe von 250.000 DM abzuschließen, bei dem F der einzige Begünstigte war. Dies begründete er damit, dass die H nach ihrer Umwandlung auch Geld brauche, welches er ihr dann aushändigen würde.
Zu einem späteren Zeitpunkt teilte der F der H mit, dass sie nun bereit wäre, sich von ihrem alten Körper zu trennen, um in ihren neuen überzugehen. Hierzu sollte sie sich in eine gefüllte Badewanne setzen, um anschließend einen eingeschalteten Föhn in das Wasser fallen zu lassen.
Nach den detaillierten Anweisungen des F hatte die H Vorkehrungen getroffen, die das Geschehene wie einen Unfall wirken ließen. Entgegen dem Plan verhinderte jedoch die Erdung der Badewanne den Tod der H, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht davon ausging, dass sie sich durch ihr Verhalten umbringen würde, sondern als Bewohnerin des Planeten Sirius weiterleben würde. F brach nach dem gescheiterten Versuch schließlich den Kontakt zu H ab, welche einige Zeit später Anzeige bei der Polizei erstattete.
Der Angeklagte F wurde schließlich wegen versuchten Mordes, Betruges sowie vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unbefugter Führung akademischer Grade und einem Vergehen gegen das Heilpraktikergesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Revision ein, welche allerdings keinen Erfolg hatte.
Mordmerkmal Habgier
Der Angeklagte wurde unter anderem wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft gemäß § 211 StGB verurteilt, weil das Landgericht das Mordmerkmal der Habgier feststellte, dessen Vorliegen auch vom BGH bestätigt wurde. Habgier liegt vor, wenn der Täter in rücksichtsloser Weise durch seine Tat den Gewinn von Geld oder Geldwert in einer noch über die bloße Gewinnsucht hinaus gesteigerten Weise erstrebt.[2] In einfachen Worten bedeutet Habgier folglich das rücksichtslose Streben nach Gewinn um jeden Preis. Im Vordergrund steht das Motiv der Gewinnerzielung, welches nicht das einzige, aber das beherrschende Motiv zur Tötung sein muss, damit Habgier angenommen werden kann.[3] Dieser Aspekt ist gerade bei der Häufung mehrerer Motive, einem sogenannten „Motivbündel“[4], von großer Bedeutung.
Hauptfälle des Mordes aus Habgier sind beispielsweise der Raubmord, der bezahlte Auftragsmord, der Mord zur Erlangung eines Erbes oder einer Lebensversicherung und der Mord zur Entziehung der eigenen Schulden oder Unterhaltspflichten. Zu beachten ist, dass Habgier bei akuter wirtschaftlicher Notlage verneint werden kann.
Strafloser Suizid
In Deutschland ist die Selbsttötung im Rahmen des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (APR) als Ausdruck der Verfügungsgewalt über das eigene Leben gemäß §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG nicht strafbar. Auch die bloße Teilnehmerhandlung, wie zum Beispiel die Beihilfe gemäß § 27 StGB, ist straflos.[5]
Laut dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist das wichtigste Kriterium für die straflose Selbsttötung die autonome Willensbildung:
„Ein Suizidentschluss geht auf einen autonom gebildeten, freien Willen zurück, wenn der Einzelne seine Entscheidung auf der Grundlage einer realitätsbezogenen, am eigenen Selbstbild ausgerichteten Abwägung des Für und Wider trifft.“[6]
Täter durch überlegenes Wissen
Auch zu der Zeit, als der Sirius-Fall entschieden wurde, stand die Selbsttötung nicht unter Strafe und auch hier musste zwischen der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung und des Mordes in mittelbarer Täterschaft unterschieden werden. Der BGH entfernte sich von einer pauschalisierten Abgrenzung und entschied nach Betrachtung der Umstände des Einzelfalls.
Er stellte fest, dass sich die H nicht selbst dazu entschloss, ihrem Leben ein Ende zu setzen, sondern ihre Handlungen, die bei mangelnder Erdung kausal für ihren Tod gewesen wären, rein nach den Anweisungen des F vornahm. Folglich unterlag die H einem von F hervorgerufenen Irrtum, der ihre freie Willensbildung erheblich einschränkte. Dieser Umstand ließ die Annahme der Beihilfe als nicht haltbar erscheinen.
In Betracht kam demnach eine Strafbarkeit wegen des versuchten Mordes gemäß § 211 StGB in mittelbarer Täterschaft durch den F.
In dem Urteil des BGH wird genauer beschrieben, dass „derjenige, der den Irrtum hervorgerufen und mit Hilfe des Irrtums das Geschehen, das zum Tod des Getäuschten führt oder führen soll, bewußt und gewollt ausgelöst hat, [ist] Täter eines (versuchten oder vollendeten) Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens, […].“[7].
Die H wies das für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft erforderliche Defizit in Form des Irrtums bezüglich aller Umstände des Tatbestandes auf und wurde so von F zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht. Nach der Betrachtung aller Umstände wies der BGH die Revision des F ab und bestätigte den Schuldspruch des Landgerichtes.
[1] BGH, Urteil vom 05.07.1983 – 1 StR 168/83 – openJur
[2] BGH 10, 399; LG Gießen, Urt. v. 30.01.2018 – Ks 401 Js 13298/16.
[3] Fischer, 70. Aufl. 2023, StGB § 211 Rn. 10.
[4] Fischer, 70. Aufl. 2023, StGB § 211 Rn. 10.
[5] Siehe auch: Aufhebung des § 217 StGB: Bundesverfassungsgericht – Entscheidungen – Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig
[6] BVerfG, Urt. v. 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15, Rn. 240.