Jugendliche besitzen in der Regel noch nicht die vollkommene Reife und Verantwortlichkeit, weswegen es geboten ist, auf von Jugendlichen begangene Straftaten anders zu reagieren als auf Straftaten, die von Erwachsenen begangen wurden. Generell ist hier der Erziehungsgedanke größer als das Strafbedürfnis:
„Das Jugendstrafrecht stellt flexible und altersangemessene Maßnahmen zur Verfügung, die in erster Linie das Ziel haben, erneuten Straftaten der betroffenen Jugendlichen entgegenzuwirken.“[1]
Straftaten von Jugendlichen werden nicht wie bei Erwachsenen nach dem Strafgesetzbuc (StGB), sondern nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) geahndet. Dieses wurde im Jahre 1922 eingeführt und weist im Vergleich zum StGB einige Unterschiede auf.
Wann wird das Jugendstrafrecht angewendet?
§ 1 JGG bestimmt die persönliche und sachliche Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts. Jugendlicher im Sinne dieses Gesetzes ist derjenige, der zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Als heranwachsend gelten die Personen, die zwischen 18 und 21 Jahren alt sind. Gemäß § 1 Abs. 1 JGG kommt das JGG zur Anwendung, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften, dem StGB, unter Strafe steht. Maßgeblich sind also die Straftaten im Sinne des StGB. Unter der sogenannten Verfehlung wird jede rechtswidrige Tat im Sinne des § 11 Abs 1 Nr. 5, § 12 StGB verstanden.
Heranwachsende erfahren im JGG eine gesonderte Behandlung zu den Jugendlichen. Gemäß § 105 JGG findet bei ihnen eine sogenannte Reifeprüfung statt, die bestimmen soll, ob die Vorschriften des Jugend- oder des Erwachsenenstrafrechts zur Anwendung kommen. § 105 Abs. 1 JGG gibt zwei mögliche Varianten vor. Der Heranwachsende muss entweder nach Beurteilung seines individuellen Reifestandes noch dem eines Jugendlichen gleichstehen oder aber es handelt sich bei der Tat um eine Verfehlung, die ihrer Art nach für die jugendliche Entwicklungsphase typisch ist. Jugendverfehlungen beschreiben Taten, die hauptsächlich von Jugendlichen begangen werden, wie beispielsweise die Sachbeschädigung durch das Sprayen von Graffiti.[2] Wird eine Variante bejaht, so ist bei dem Heranwachsenden das Jugendstrafrecht anzuwenden.
Im Falle, dass keine der beiden Varianten einschlägig ist, findet das Strafgesetzbuch Anwendung. Etwaige Besonderheiten für Heranwachsende ergeben sich hierbei aus § 106 JGG, der gewisse mildernde Umstände vorsieht. So bestimmt § 106 Abs. 1 JGG beispielsweise, dass bei Heranwachsenden im Höchstmaß keine lebenslange, sondern nur eine Freiheitsstrafe zwischen zehn und fünfzehn Jahren verhängt werden darf. Bei Heranwachsenden kann ebenfalls von der Rechtsfolge des § 45 Abs. 1 StGB, dem Verlust der Fähigkeit öffentliche Ämter zu bekleiden, abgesehen werden. Im Weiteren bestimmt der § 106 Abs. 3 bis 7 JGG, dass neben der Strafe grundsätzlich keine Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, das Gericht sich dies jedoch in bestimmten Fällen, in denen der Heranwachsende zum Beispiel eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, vorbehalten darf.
Das Jugendstrafrecht greift gemäß § 1 Abs. 1 JGG demnach bei allen Taten, die im StGB unter Strafe stehen, also beispielsweise bei Diebstahl, Raub, Sachbeschädigung, Körperverletzung oder Totschlag.
Jugendgerichtsgesetz – welche Strafen gibt es?
Im Jugendstrafrecht wird zwischen drei Arten von Strafen unterschieden:
- Erziehungsmaßregeln,
- Zuchtmittel und
- Jugendstrafen.
Erziehungsmaßregeln
Die Erziehungsmaßregeln bilden die leichteste Form der Strafe im JGG und teilen sich in zwei Arten auf; die Weisung und die Anordnung, Hilfe zur Erziehung wahrzunehmen. Die Erziehungsmaßnahme soll weniger der Bestrafung dienen als mehr das Verständnis des Jugendlichen über das von ihm begangene Unrecht fördern.
Als Weisung im Sinne des § 10 Abs. 1 JGG kann „[d]er Richter […] dem Jugendlichen insbesondere auferlegen,
- Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen,
- bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen,
- eine Ausbildung- oder Arbeitsstelle anzunehmen,
- Arbeitsleistungen zu erbringen,
- sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen,
- an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen,
- sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich),
- den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder
- an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen.“[3]
Weiterhin kann gemäß § 10 Abs. 2 JGG verlangt werden, dass sich der Jugendliche einer heilerzieherischen Behandlung oder einer Entziehungskur unterzieht, sollte die Zustimmung der Erziehungsberechtigten oder der gesetzlichen Vertreter vorliegen.
Hier gilt es zu beachten, dass der Jugendliche ab einem Alter von 16 Jahren mit dieser Weisung einverstanden sein muss. Generell darf die durch den Richter festgelegte Laufzeit der Weisung nicht länger als zwei Jahre andauern. Eine Weisung zu der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person, § 10 Abs. 1 Nr. 5 JGG, beläuft sich demgegenüber auf eine Dauer von einem Jahr und eine Weisung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 6 JGG zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs darf eine Dauer von sechs Monaten nicht überschreiten. Eine Weisung kann durch den Richter verändert oder verlängert werden, sollte hierzu Anlass bestehen.
Unter Hilfe zur Erziehung versteht man die Auferlegung der Hilfe zur Erziehung nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Dies kann einerseits einen Erziehungsbeistand gemäß § 30 SGB VIII oder andererseits die Unterbringung in einer betreuten Wohnform gemäß § 34 SGB VIII zur Folge haben.
Zuchtmittel
Die zweite Form der Bestrafung im JGG sind die sogenannten Zuchtmittel. Zuchtmittel sind insbesondere Verwarnungen, die Erteilung von Auflagen und der Jugendarrest. Die Verwarnung gemäß § 14 JGG bemisst sich auf eine Zurechtweisung des Jugendlichen in Form einer Ansprache durch den Richter in der Hauptverhandlung. Die Auflagen sind den Weisungen recht ähnlich und zielen darauf ab, dass der Jugendliche für seine Tat Reue empfindet:
„Der Richter kann dem Jugendlichen auferlegen:
- nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen,
- sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen,
- Arbeitsleistungen zu erbringen oder
- einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen.“[4]
Die dem Jugendlichen aufgetragenen Auflagen müssen für diesen zumutbar sein. Für die Verhängung einer Geldstrafe soll besonders darauf abgezielt werden, dass nicht die Eltern für den Jugendlichen bezahlen. Folglich soll eine Geldstrafe nur in zwei Fällen angeordnet werden. Einerseits, wenn Grund zur Annahme besteht, dass der Jugendliche die Geldstrafe aufgrund einer leichten Verfehlung aus eigenen Mitteln zahlen kann und andererseits, wenn sich die Geldstrafe auf den Betrag beläuft, den der Jugendliche durch seine Tat erlangt hat.
Der Jugendarrest stellt die noch mildere Variante der Jugendstrafe dar und teilt sich in Freizeitarrest, Kurzarrest und Dauerarrest auf. Der Freizeitarrest umfasst lediglich ein bis zwei Wochenenden, während bei einem Kurzarrest bereits zwei bis vier Tage am Stück verbüßt werden muss. Grund für die Verhängung des Kurzarrestes kann die bloße Zweckmäßigkeit für die Erziehung sein. Der Dauerarrest beläuft sich auf mindestens eine und höchstens vier Wochen.
Jugendstrafe
Die dritte Art der Strafe, die sogenannte Jugendstrafe, stellt den stärksten möglichen Eingriff dar und sieht die Unterbringung in einer Jugendstrafanstalt zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe vor. Die Jugendstrafe wird als letztes Mittel angewendet, wenn Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel aufgrund schädlicher Neigungen oder einer besonderen Schwere der Schuld nicht zur Verbüßung der Strafe ausreichend sind. Schädliche Neigungen sind insbesondere dann anzunehmen, wenn eine erhöhte Gefahr zur wiederholten Begehung der Straftat besteht. Die Schwere der Schuld bemisst sich nach den individuellen Tatumständen und verwirklichten Straftaten, sie wird aber generell bei schwerwiegenden Delikten, wie beispielsweise Totschlag, bejaht.
Wie hoch können Strafen im Jugendstrafrecht ausfallen?
Die Höhe der Strafe hängt von der begangenen Verfehlung ab, eine lebenslange Freiheitsstrafe wie bei § 211 StGB ist im Jugendstrafrecht allerdings nicht möglich. Während der Jugendarrest nur bis zu vier Wochen andauern darf, darf die Jugendstrafe höchstens fünf Jahre betragen, bei Heranwachsenden bereits zehn Jahre, § 105 Abs. 3 JGG. Sollte es sich um eine Straftat handeln, die im StGB mit einer Höchststrafe von zehn Jahren bedroht ist, so kann die Jugendstrafe ebenfalls höchstens zehn Jahre andauern.
Eine Besonderheit gibt es noch bei der Strafbarkeit wegen Mordes gemäß § 211 StGB, welche grundsätzlich mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist. Da wie bereits erwähnt eine lebenslange Freiheitsstrafe im Jugendstrafrecht nicht in Betracht kommt, wird hier, ähnlich wie bei den Delikten mit einem Höchstmaß von zehn Jahren, das Höchstmaß der Jugendstrafe auf 15 Jahre angehoben.
Das JGG gibt also nicht selbst Straftaten vor, sondern bezieht sich stets auf diejenigen, die im StGB geschrieben stehen. Das JGG stellt lediglich den Rahmen der Anwendung des StGB im Bezug zu Jugendlichen fest. Aus der Sicht des JGG gibt es dementsprechend keinen festen Strafrahmen für die jeweiligen Delikte, sondern die generelle Regelung über das Strafhöchstmaß. Da in der regulären Anwendung des StGB das Strafmindestmaß für die Einstufung einer rechtswidrigen Tat als Vergehen oder Verbrechen und für deren Verjährung herangezogen wird, regelt § 4 JGG, dass dies nach den allgemeinen Vorschriften zu bestimmen ist. Jugendstrafen bis zu zwei Jahre können, wie im StGB, auf Bewährung ausgesetzt werden.
Für die Eintragung von Verurteilungen in das Bundeszentralregister (BZR) herrschen ebenfalls andere Umstände im Jugendstrafrecht. Generell werden Verurteilungen zu Erziehungsmaßregeln und zu Zuchtmitteln nicht in das BZR aufgenommen. Sie finden sich dementsprechend auch nicht im Führungszeugnis wieder. Anders liegt es bei einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe, welche regelmäßig in das BZR eingetragen wird. In besonderen Fällen, wie beispielsweise der gemäß § 27 JGG auf Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, finden sich diese Eintragungen aber nicht im Führungszeugnis wieder. Weiterhin sind die Fristen zur Löschung der eingetragenen Daten im BZR bei Jugendlichen kürzer als bei den Erwachsenen. So sind Strafen von nicht mehr als einem Jahr und Bewährungsstrafen von nicht mehr als zwei Jahren bereits nach fünf Jahren wieder zu löschen.
Unterschiede zwischen Jugendstrafrecht und allgemeinem Strafrecht
Weitere Unterschiede zwischen dem allgemeinen Strafrecht und dem Jugendstrafrecht sind insbesondere:
Die Untersuchungshaft
Gegen Jugendliche kann unter besonderen Umständen auch die Untersuchungshaft gemäß § 72 Abs. 1 JGG angeordnet werden. Die Anforderungen an die Verhängung der Untersuchungshaft, wie der hinreichende Tatverdacht, der Haftgrund und die Verhältnismäßigkeit der Anordnung, werden gerade im Jugendstrafrecht sehr streng beurteilt, da es sich für den Jugendlichen um eine äußerst einschneidende Maßnahme handelt.
Demnach gilt die U-Haft als letztes Mittel, wenn nicht durch geringfügigere Wege das Ziel der U-Haft, die Verhinderung der Entziehung der Strafverfolgung durch den Jugendlichen, erreicht werden kann. Gegen einen Jugendlichen, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, kann die Anordnung zur Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr nur verhängt werden, wenn der Jugendliche sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder sonstige Vorbereitungen zur Flucht getroffen oder der Jugendliche keinen festen Wohnsitz hat, § 72 Abs. 2 Nr. 1,2 JGG.
Jugendgerichtshilfe
Die Jugendgerichtshilfe ist ein Dienst des Jugendamts, der der Familie des Jugendlichen für die Zeit vor dem Prozess und währenddessen in Beratungsfunktion zur Seite gestellt wird, § 38 JGG, § 52 Abs. 1 SGB VIII. Sie nimmt an dem gesamten Verfahren teil und soll das Gericht über die familiäre und persönliche Situation des Jugendlichen aufklären, erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Geltung bringen und Lösungsmöglichkeiten, beziehungsweise Maßnahmen vorschlagen. In bestimmten Fällen kann es auch angebracht sein, die Familie auch noch nach dem Prozess zu beraten.
Umstände der Hauptverhandlung
Verfahren gegen Jugendliche werden vor speziellen Jugendgerichten entschieden. Anders als im regulären Strafrecht gibt es im Jugendstrafrecht erhebliche Einschränkungen bezüglich des Grundsatzes der Öffentlichkeit. Weder die Hauptverhandlung noch die Entscheidung selbst sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anderes gilt gemäß § 48 Abs. 3 S.1 JGG, wenn in dem Verfahren zusätzlich Heranwachsende oder Erwachsende angeklagt sind, sollte das Erziehungsinteresse dem nicht entgegenstehen, § 48 Abs. 3 S. 2 JGG. Dieses Interesse kann sich sowohl auf den Persönlichkeitsschutz als auch auf präventive Gedanken stützen.[5]
Außerdem kann in der Hauptverhandlung von der Staatsanwaltschaft ein Antrag auf ein vereinfachtes Verfahren im Sinne des § 76 JGG gestellt werden, wenn davon auszugehen ist, dass die Strafe zwischen einer Weisung gemäß § 10 JGG, der Anordnung zur Hilfe zur Erziehung nach § 12 Nr. 1 JGG und einem Zuchtmittel gemäß § 13 Abs. 2 JGG, wie der Verhängung eines Fahrverbotes, beziehungsweise der Entziehung der Fahrerlaubnis von nicht mehr als zwei Jahren liegt. In einem solchen vereinfachten Verfahren kann von verschiedenen Verfahrensvorschriften im Zuge der Beschleunigung abgewichen werden, wobei die Vorschriften aus § 78 Abs. 3 JGG zwingend zu berücksichtigen sind.
[2] MüKoStGB/Laue JGG § 105 Rn. 34.
[3] § 10 JGG – Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)
[4] § 15 JGG – Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)
[5] MüKoStPO/Höffler JGG § 48 Rn. 8.
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